Im Interview spricht Lehnert über die Hintergründe.
Herr Lehnert, warum verklagen Sie die Bundesregierung?
Ich verklage die Bundesregierung in Vertretung von mehreren Afghanen, die in einem Polizeiprojekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gearbeitet haben und die dringend Schutz benötigen – der ihnen aber von Deutschland verwehrt wird. Bei dem Projekt (PCP) handelte es sich um eine Kooperation zwischen der GIZ, einer halb-staatlichen deutschen Einrichtung, und dem afghanischen Innenministerium.
Ziel war es, afghanische Polizist*innen auszubilden, unter anderem bei der Alphabetisierung und in Menschenrechtsfragen. Das Lehrpersonal war für Schulungen dieser Art im Auftrag der GIZ in allen Provinzen des Landes tätig. Zu ihnen gehörten auch die Kläger, die ich rechtlich vertrete. Die Bundesregierung verweigert ihre Aufnahme mit dem Argument, dass sie nur Werksverträge hatten. Ich halte das für falsch und für juristisch nicht haltbar.
Aus welchen Gründen?
Erstens: Deutschland hat eine Schutzpflicht gegenüber Personen, die im deutschen Auftrag in Afghanistan tätig waren, und zwar unabhängig davon, wie genau der Vertrag bezeichnet wird. Zweitens: Die Betroffenen sind einer massiven Gefährdung durch die Taliban ausgesetzt. Drittens: Es gibt ja ein Ortskräfteverfahren, um solche Menschen zu retten. Damit gesteht die Bundesregierung zu, dass verfolgte Personen aufgenommen werden müssen. Die Unterscheidung, die einen aufzunehmen – jene, die Arbeitsverträge hatten – und die anderen nicht – nämlich diejenigen mit Werksverträgen – ist perfide. Die Taliban unterscheiden nicht zwischen verschiedenen Vertragsformen!
Die Kläger, die ich vertrete, sind durch ihre Mitarbeit in dem Polizeiprojekt gravierend gefährdet, weil sie im Sicherheitssektor tätig waren, was per se ein Verfolgungsgrund für die Taliban ist. Hinzu kommt, dass sie im Rahmen ihrer Arbeit mit vielen Leuten in Kontakt waren und damit ihre Tätigkeit vielen Menschen bekannt ist. Dass sie Kurse zu Menschenrechten und Alphabetisierung geleitet haben, Themen also, die die Taliban mit Verwestlichung verbinden, erhöht den Grad ihrer Gefährdung noch.
Sie sagen, die Bundesregierung hat eine Schutzpflicht. Moralischer Art oder auch rechtlich?
Die Bundesregierung hat auch aus juristischer Perspektive Schutzpflichten. Häufig wird in der Debatte um die Aufnahme von bedrohten Afghaninnen und Afghanen suggeriert, dass es sich dabei um einen humanitären Gnadenakt handelt. Aber das stimmt nicht, wir reden hier von verfassungsrechtlichen Schutzpflichten. Denn die Verfolgung der ehemaligen Ortskräfte durch die Taliban ist Deutschland zurechenbar.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sind hierfür Anknüpfungspunkte. Für die Kläger besteht Gefahr für Leib und Leben aufgrund ihrer Tätigkeit für deutsche Einrichtungen. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte hat das kürzlich in einer Analyse deutlich gemacht. Es weist unter anderem darauf hin, dass nicht zu hohe Anforderungen an die Ortskräfte gestellt werden dürfen, für ihre Gefährdung Beweise beizubringen.
Dabei mangelt es in den Fällen, die Sie vertreten, nicht an Beweisen. Können Sie die Gefährdung Ihrer Mandanten kurz schildern?
Ich vertrete zum Beispiel eine Person, dessen Familie bereits kurz vor der Machtübernahme durch die Taliban im Juli zuhause überfallen und misshandelt worden war. Später haben sie meinen Mandaten acht Stunden lang an einen Baum aufgehängt und ihm mehrere Knochen gebrochen. Sie sagten zu ihm, er habe gesündigt, weil er mit den Deutschen zusammengearbeitet hat. Dass die Bundesregierung Menschen wie ihm keine Aufnahmezusage erteilt, finde ich empörend.
Ein anderer Mandant von mir hat mehrfach Drohbriefe von den Taliban erhalten und sie haben sein Haus verwüstet auf der Suche nach Informationen über die GIZ. Bei einem dieser »Besuche« war er nicht zuhause – aber sein Bruder wurde ermordet, weil er nicht preisgeben wollte, wo der »Kollaborateur mit den Deutschen« sich aufhält.
Was wollen Sie mit der Klage erreichen?
Klageziel ist, dass den Klägern und ihren Familien ein Visum erteilt wird. Dafür zuständig sind die Deutschen Botschaften, die dem Auswärtigen Amt unterstehen. Deshalb wird die Klage am Verwaltungsgericht Berlin eingereicht, weil das Auswärtige Amt dort seinen Sitz hat. Mit Unterstützung von PRO ASYL vertrete ich sechs ehemalige Mitarbeiter des GIZ-Polizeiprojektes vor Gericht, und eine Kollegin von mir, die ebenfalls Klage einreicht, vertritt fünf weitere Familien.
Quelle: Pro Asyl