Ein Antrag eines Minderjährigen auf internationalen
Schutz darf nicht mit der Begründung als unzulässig abgelehnt werden, dass seinen Eltern bereits in einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt
worden ist.
Eine in Deutschland geborene russische Minderjährige ficht vor einem deutschen Gericht die Entscheidung der
deutschen Behörden an, mit der ihr Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt
wurde. Diese Ablehnung
wurde damit begründet, dass ihren Eltern und Geschwistern vor der Geburt der Minderjährigen und vor der Einreise der Familie nach Deutschland in Polen internationaler Schutz zuerkannt worden sei, so dass nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz Polen zuständig sei.
Hierzu hat das deutsche Gericht dem Gerichtshof Fragen gestellt.
Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof
fest, dass in einer Situation
wie der des
Ausgangsverfahrens,
in der die Familienangehörigen einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, bereits
von einem
anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt bekommen haben, der zuletzt genannte
Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags nur zuständig ist, sofern die
betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich
kundgetan haben.
In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts der Dublin-III-Verordnung kann von dieser Voraussetzung nicht deshalb
abgewichen werden, weil die Familie den Mitgliedstaat, in der ihr internationaler
Schutz zuerkannt worden ist,
verlassen hat und sie in den Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz
gestellt hat, unrechtmäßig eingereist ist.
Ist ein solcher Wunsch nicht schriftlich kundgetan worden und lässt sich anhand der Kriterien der Dublin-III-
Verordnung kein anderer Mitgliedstaat als zuständiger Mitgliedstaat bestimmen, ist der erste Mitgliedstaat,
in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt
wurde, für dessen Prüfung
zuständig.
Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass auch auf der Grundlage der Verfahrensrichtlinie zur Einrichtung eines
gemeinsamen Asylverfahrens der Antrag eines Minderjährigen auf internationalen Schutz nicht mit der
Begründung für unzulässig erklärt werden kann, dass seine Eltern in einem anderen Mitgliedstaat
internationalen Schutz genießen. Der auf einem in einem anderen Mitgliedstaat bereits gewährten Schutz
beruhende Unzulässigkeitsgrund ist nämlich nur dann erlaubt, wenn der Antragsteller selbst bereits internationalen
Schutz genießt.
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache
C-720/20 | Bundesrepublik Deutschland (Außerhalb des
Aufnahmestaats geborenes Kind von
Flüchtlingen)