Selbst wer hierzulande geboren und aufgewachsen ist, geht schnell verloren im deutschen Behördendschungel. Umso schwieriger ist es für Migranten, den Überblick zu bewahren. Ganz zu schweigen davon, dass Ämter nicht immer rechtmäßig handeln, beispielsweise bei Abschiebungen.
Diese werden öfter vor Gericht wieder gekippt. Sozialverbände bieten deshalb Unterstützung im Umgang mit der Verwaltung an. Doch die schlagen nun Alarm: Der Haushaltsplan der Bundesregierung für 2024 sieht deutlich weniger Zuschüsse vor. Das habe schwerwiegende Folgen für die
Betroffenen, warnen Träger wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und die Opposition. Und es ist Wasser auf die Mühlen rechter Populisten wie der AfD.
Konkret will das Finanzministerium an drei Stellen sparen: bei der Migrationsberatung, der sogenannten unabhängigen Asylverfahrensberatung und den psychosozialen Zentren. Die Migrationsberatung unterstützt Zuwanderer mit Bleibeaussicht in Alltagsfragen. Wo finde ich einen
Sprachkurs? Wo finde ich eine Arbeit und eine Kita für meine Kinder, wenn ich hoffentlich bald eine habe? Im vergangenen Jahr stellte das Bundesinnenministerium (BMI) dafür 81,5 Millionen Euro zur Verfügung, im kommenden Jahr sollen es nur noch 57,5 sein, etwa ein Drittel weniger.
Die unabhängige Asylverfahrensberatung soll Geflüchteten den komplexen Ablauf im Vorhinein verständlich machen und ihnen bei der Antragsstellung helfen. "Es ist für die Behörden deutlich leichter, wenn die Leute die Prozesse besser verstehen, vorbereitet sind und nicht ständig nachfragen", erklärt Joß Steinke, Bereichsleiter Jugend und
Wohlfahrtspflege beim DRK. Die Bundesregierung hatte das Förderprogramm bereits im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt, Mitte 2023 lief es an. Mit einem Budget von 20 Millionen Euro. Derselbe Betrag soll nun den Bedarf des gesamten kommenden Jahres decken. Unterm Strich nicht nur eine drastische Kürzung, sagt DRK-Bereichsleiter Steinke, sondern eine böse Überraschung. "Im Austausch mit den zuständigen Ministerien sind wir immer davon ausgegangen, dass uns im nächsten Jahr 40 Millionen zur Verfügung stehen."
Besonders bitter findet er auch die Abstriche für psychosoziale Zentren. "Da geht es um Menschen in Not. Das müssen wir uns einfach leisten als reiches Land." Viele Geflüchtete haben Traumatisches erlebt, sei es in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht selbst. In den psychosozialen Zentren werden sie an Therapeuten weitervermittelt, finden speziell
zugeschnittene Therapieangebote oder Akuthilfe in Krisensituationen. Besonders betroffen sind Kinder und Frauen. Die psychosozialen Zentren werden deshalb durch das Bundesfamilienministerium gefördert, im laufenden Jahr mit 17 Millionen Euro. 2024 soll der Betrag um knapp zwei
Drittel schrumpfen, auf sieben Millionen Euro.
Ist also schon wieder Schluss mit dem "Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik", den sich die Ampelkoalition vor der Übernahme der Regierungsgeschäfte auf die Fahne geschrieben hat? Das Familienministerium lässt eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung bis
Redaktionsschluss unbeantwortet. Ein Sprecher des BMI erklärt schriftlich, Migration, Integration und Minderheiten hätten trotz Sparkurs höchste Priorität. "Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushalt gewährleistet, dass das BMI seine unverzichtbare Arbeit auch und insbesondere im Bereich Migration/Integration erfolgreich fortsetzen kann."
Schwer vorstellbar in Anbetracht der Zahlen. Das Statistische Bundesamt meldete kürzlich einen Rekordwert für die Nettozuwanderung im vergangenen Jahr. Demnach hätten 2022 1,46 Millionen Menschen Deutschland verlassen, 2,67 Millionen seien dafür eingewandert. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 hat das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (Bamf) mehr als 175 000 Erstanträge auf Asyl registriert. Das entspricht einem Anstieg von 78 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Hinzu kommen laut Ausländerzentralregister etwa eine Million Geflüchtete
aus der Ukraine, die in Deutschland kein Asyl beantragen müssen.
Und die Kürzungen würden sich weit über die bloßen Beträge hinaus auf die Integration von Zuwanderern auswirken, warnen die Sozialverbände. Weniger Gelder hieße weniger Stellen. Das führe zu einem Dominoeffekt: Wird die Mehrbelastung für das verbliebene Personal zu groß, drohen
weitere Abgänge. "Das wird sich bis zu den Behörden durchschlagen", sagt Steinke. Bereits jetzt arbeiten viele Ämter am Anschlag, insbesondere in den Kommunen.
Ohne die Unterstützung durch zivile Organisationen wird sich der Druck auf die örtliche Verwaltung weiter erhöhen, glaubt auch Detlef Seif. Der CDU-Abgeordnete ist Berichterstatter für Asyl und Migration im Innenausschuss des Bundestags. "Wenn wir die Menschen nicht an die Hand nehmen, wird uns das später auf die Füße fallen." Es brauche mehr Gelder, nicht weniger. Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der
Linken im Bundestag, wirft der Ampel "Komplettversagen" in der Migrationspolitik vor. Sie sieht durch die Kürzungen vor allem die Versorgung auf dem Land bedroht. Die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft dort sei unabdingbar, nicht zuletzt, weil die radikale
Rechte aus der Überlastung der Kommunen Kapital schlage. "Wo es die schlechteste Infrastruktur gibt, ist die AfD am stärksten."
Innerhalb der Ampel regt sich ebenfalls Widerstand gegen die geplanten Kürzungen des FDP-geführten Finanzministeriums. Er fände es natürlich schlecht, wenn in dem Bereich eingespart würde, sagt der SPD-Innenpolitiker Hakan Demir. Aber es handle sich bei dem Haushaltsplan erst mal um einen Entwurf. "Ich glaube, dass da noch mal Bewegung reinkommen wird." Nach der parlamentarischen Sommerpause werde es "harte Debatten" geben.
(Quelle: sueddeutsche.de)