(11.10.2023) Entschieden kritisiert der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein die unter Federführung Niedersachsens erstellte Beschluss-vorlage zur Ministerpräsidentenkonferenz am heutigen Tage, die ein "Arbeitsverpflichtung für Asylsuchende" vorsieht.
Die Bundesrepublik koppelt seit 30 Jahren Asylsuchende vom bundesweiten System der Arbeitsmarktintegration ab: Zuständig für sie sind nicht die Jobcenter, sondern die Sozialämter, die nur in Ausnahmefällen (v.a. in den Optionskommunen) eine Arbeitsmarktvermittlung und -integration für ihre Kund:innen betreiben und es überwiegend dabei belassen, (für Asylsuchende gekürzte) Sozialleistungen auszuzahlen. Bis Asylsuchende den Weg zu den Arbeitsagenturen gefunden haben und dort auch vermittelt werden, vergehen in der Regel mindestens zwei Jahre. Die fehlende systematische Begleitung, restriktive Auflagen und behördliche Arbeitsverbote behindern die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten zusätzlich.
"Anstatt Arbeitsverbote abzuschaffen, damit Asylsuchende von Beginn an in das deutsche System der Arbeitsvermittlung einbezogen und Sozialversicherungszahler werden können, soll der Bund auf Betreiben der Länder nun offenbar regelmäßige gemeinnützige Zwangsarbeit für Asylsuchende schaffen und damit die Abhängigkeit von Sozialleistungen zementieren", kritisiert Martin Link, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Gleichzeitig soll wieder einmal die schon in den 1990er Jahren erfolglos versuchte Umstellung des Regelbedarfs auf Sachleistungen beschlossen werden.
"Es wird zur Freude rechtsextremistischer und rassistischer Interessengruppen das Bild von faulen Asylsuchenden bedient, die nur wegen der Sozialleistungen kämen. In Folge solcher Behauptungen steigt die ablehnende Stimmung gegen Geflüchtete und wird der Zunahme gewalttätiger Übergriffe auf Asylunterkünfte und auf als fremd gelesene Menschen der Boden bereitet. Im 1. Halbjahr 2023 wurden 80 politisch motivierte Angriffe auf Unterkünfte und 704 Straftaten gegen Asylsuchende außerhalb von Unterkünften polizeilich registriert", mahnt Link.
Die am vergangenen Montag zwischen Landesregierung und Kommunen in Schleswig-Holstein verabredeten Neuregelungen sehen 1.600 neue Plätze für Geflüchtete ohne Bleibeperspektive vor. Sollte die MPK entsprechnend der niedersächsischen Vorlage beschließen, würden diese Menschen hierzulande wohl zur ersten Zielgruppe sogenannter gemeinnütziger Arbeitsangebote. Der Flüchtlingsrat fordert: "Schleswig-Holstein ist dringend aufgerufen, diese Beschlusspläne zur Arbeitsverpflichtung für Asylsuchende auf der MPK nicht zu unterstützen!"
Hintergrund:
Schon am Montag, den 9.10.2023 hatte die Integrations-ministerin Schleswig-Holstein die Landräte und Bürgermeister zum Gipfel nach Kiel geladen, um Bedarfe zu identifizieren und mit Blick auf die künftige Aufnahme und Verteilung von hierzulande Schutz Suchenden über anstehende rechts-politische und administrative Maßnahmen zu beschließen. Ergebnisse waren dabei u.a. die Erweiterung von Aufnahme-plätzen in Landesunterkünften auf 10.000. Davon sollen in besonderen Unterkünften (z.B. in der Prinz Heinrich-Kaserne in Neumünster) 1.600 Plätze für Menschen ohne Bleibe-perspektive (insbesondere Asylsuchende aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern und Dublin-Fälle) reserviert werden, die künftig nicht mehr in die dezentrale kommunale Weiterverteilung und wohl auch nicht in den Genuss von integrationsfördernden Angeboten kommen.
13.10.2023 | Letzte Meldung
Alle Länderchef*innen - d.h. auch Schleswig-Holstein - und der Bund haben sich bei Ihrer Konferenz (MPK) am 13. Oktober auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, was zum Ziel hat, die Grenzen nicht für europäische ukrainische Kriegsflüchtlinge, aber regelmäßig für Asylsuchende aus dem globalen Süden möglichst - nicht zuletzt mit Hilfe des geplanten Gemein-samen Europäischen Asylsystems (GEAS) - unüberwindbar zu machen. Diejenigen, die es dennoch ins Land und ins Asylverfahren schaffen, sollen ein (digital) beschleunigtes Verfahren, mehr europaweite Verteilung und im Falle der Erfolglosigkeit ihres Asylgesuchs, beschleunigt in ihre Herkunfts- oder in Drittländer abgeschoben werden können - was durch mehr und mehr Migrationsabkommen, eine Besei-tigung von bis dato noch schützenden Rechtslagen und die Ausweitung des Ausreisegewahrsams erreicht werden soll.
Weiterhin sollen die baurechtlichen Vorgaben für Unterkünfte gesenkt werden und in Kasernen des Bundes sollen Lager geschaffen werden, in denen ausschließlich Schutzsuchende ohne Bleibeperspektive - das sind z.B. solche aus Sicheren Herkunftsländern oder die dem Dublin-Verfahren unterliegen - untergebracht werden. In ihren Fällen erfolgt keine Verteilung in die Kommunen und sie werden auch keinerlei Zugänge zu integrationsfördernden Angeboten (Sprache/Ausbildung/Arbeit) erhalten.
Denen mit guter Bleibeperspektive sollen indes die Zugänge zu Ausbildung und Beschäftigung und zu Integrations-, Sprach- und Erstorientierungskursen erleichtert werden.
Solchen, die nicht zeitnah in den Arbeitsmarkt integriert werden können und denen, die qua Ausschluss einer Bleibe-perspektive ohnehin davon ausgeschlossen sind, droht regelmäßig die sogenannte gemeinnützige Arbeit, u.E. eine Art verfassungswidriges öffentlich sanktioniertes prekäres Zwangsarbeitsverhältnis.
Schließlich sollen die Leistungen nach dem Asylbewerber-leistungsgesetz (AsylbLG) auf das in anderen europäischen Ländern (z.B. Bulgarien?) übliche Niveau gesenkt werden und die Gruppen der Leistungsbezieher*innen ausgeweitet werden.
(Quelle: frsh.de)