Das Deutsche Institut für Menschenrechte empfiehlt dem Gesetzgeber, bei den anstehenden migrationsrechtlichen Änderungen den aufenthaltsrechtlichen Schutz für Betroffene häuslicher Gewalt zu stärken und so die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention sicherzustellen.
„Betroffene häuslicher Gewalt in prekären aufenthalts-rechtlichen Situationen erhalten in Deutschland nicht den in der Istanbul-Konvention verbrieften aufenthaltsrechtlichen Schutz“, erklärt Müşerref Tanrıverdi, Leiterin der Bericht-erstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Instituts, anlässlich der Veröffentlichung der Studie „Aufenthaltstitel für Betroffene häuslicher Gewalt. Umsetzungsempfehlungen zu Artikel 59 Absatz 1–3 Istanbul-Konvention“. Tanrıverdi weiter: „Für Betroffene häuslicher Gewalt haben diese Schutzlücken erhebliche Auswirkungen. Denn Täter*innen nutzen die Angst vor Abschiebung als Druckmittel, um Betroffene davon abzu-halten, Hilfe bei den Behörden zu suchen oder ihrer gewalt-tätigen Umgebung zu entkommen.“
Die Istanbul-Konvention sieht in Artikel 59 Absätze 1 bis 3 den Erlass aufenthaltsrechtlicher Regelungen vor, um Betroffenen häuslicher Gewalt einen aufenthaltsrechtlichen Ausweg aus der Gewaltspirale und eine Strafverfolgung der Täter*innen zu ermöglichen. Im Februar 2023 endeten die von Deutschland eingelegten Vorbehalte gegen Artikel 59 Absätze 2 und 3 der Istanbul-Konvention.
Tanrıverdi unterstreicht: „Die Entscheidung der Bundesregierung, die Vorbehalte nicht zu verlängern, war ein wichtiger erster Schritt. Jetzt muss der Gesetzgeber mit der Schaffung von Aufenthaltstiteln den gebotenen zweiten Schritt tun. Der kürzlich veröffentlichte Entwurf der Bundes-regierung zu migrationsrechtlichen Änderungen sieht dies jedoch bisher nicht vor. Anstatt auf die geplanten Rück-führungsverschärfungen zu setzen, sollte die Bundesregierung vielmehr die menschenrechtlichen Vorgaben umsetzen. Dazu gehört auch eine vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention.“
Artikel 59 Absatz 3 Istanbul-Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Betroffenen häuslicher Gewalt einen Aufenthaltstitel aufgrund ihrer persönlichen Situation oder zur Mitwirkung im Ermittlungs- oder Strafverfahren bereitzu-stellen.
Um die Vorgaben der Istanbul-Konvention vollständig umzusetzen, empfiehlt die Berichterstattungsstelle, zwei verlängerbare Aufenthaltstitel für Betroffene häuslicher Gewalt in § 25 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen. Ein Aufenthaltstitel soll zum einen aufgrund der persönlichen Lage erteilt werden können. Dabei sollen Faktoren wie die Sicherheit der Betroffenen, ihr Gesundheitszustand, ihre familiäre Situation und die Situation in ihrem Herkunftsland bei der aufenthaltsrechtlichen Prüfung der persönlichen Lage berücksichtigt werden. Zum anderen sollte ein Aufenthaltstitel zur Mitwirkung im Ermittlungs- oder Strafverfahren geschaffen werden. Die Erteilungsvoraussetzungen für den Aufenthalts-titel sollten niedrigschwellig ausgestaltet sein, um auch für Betroffene in prekären aufenthaltsrechtlichen Situationen erfüllbar zu sein.
Die Umsetzung von Artikel 59 Absatz 2 und Absatz 1 ist ebenfalls noch unvollständig. Die Istanbul-Konvention fordert, Betroffenen häuslicher Gewalt unabhängig von der Dauer der Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren. Die Berichterstattungsstelle empfiehlt, die Anforderungen an den Gewaltnachweis zu reduzieren und den Personenkreis, der sich auf die Härtefallregelung berufen kann, auf alle Betroffenen in eheabhängigen Aufenthaltssituationen zu erweitern.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist von der Bundesregierung damit betraut worden, eine unabhängige Berichterstattungsstelle zu geschlechtsspezifischer Gewalt einzurichten. Sie hat die Aufgabe, die Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats unabhängig zu beobachten und zu begleiten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert die vierjährige Aufbauphase der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt.
Die Istanbul-Konvention
Die Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt) ist der bisher umfassendste Menschen-rechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Die Istanbul-Konvention ist seit 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft.
(Quelle: Institut-fuer-menschenrechte.de)