Was können Kirchen und Zivilgesellschaft dem Erstarken der extremen Rechten entgegensetzen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) am 20. und 21. Oktober in Dresden. Die Veranstaltung begann mit einer Schweigeminute für die Opfer des Terrorangriffs der Hamas auf Israel. Im Anschluss betonte Heinrich Timmereves, Bischof des Bistums Dresden-Meißen, in seinem Grußwort mit Blick auf den Nahen Osten, aber auch mit Blick auf Rechtsextre-mismus, dass „unsere deutsche und christliche Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk“ uns verpflichte, „bedingungs-los jüdisches Leben zu schützen“. Dr. Nora Goldenbogen, Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Sachsen, zeigte sich in einem weiteren Grußwort tief betrof-fen vom erstarkten Antisemitismus. Unter Jüdinnen und Juden mache sich Angst breit, der islamistische Antisemitis-mus verbinde sich mit dem ureigenen deutschen. Es sei eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft, damit umzugehen. In einer Videobotschaft wandte sich auch Tobias Bilz, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, an die Teilnehmenden.
Am Abend widmete sich eine Podiumsdiskussion mit Vertre-ter*innen aus der sächsischen Zivilgesellschaft der Frage, wie angesichts des Erstarkens der extremen Rechten und dem weit verbreiteten Rassismus gesellschaftliche Dialoge gelingen können. Die Teilnehmenden tauschten sich aus über Erfahrun-gen aus Diskussionsformaten etwa der sächsischen Landes-zentrale für politische Bildung oder von kirchlichen Akade-mien. „Wir müssen im Dialog bleiben. Aber gleichzeitig muss die Würde des Menschen in jeder Situation gewahrt bleiben,“ forderte Lisa-Marie Eberharter von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Dr. Petra Schickert (Kulturbüro Sachsen) betonte dagegen auch die Grenzen von Diskussio-nen: „Wenn wir Rechtsextreme in Veranstaltungen zulassen, ist das kein angstfreier Raum mehr für alle, wo offen diskutiert werden kann“. Özcan Karadeniz, Geschäftsführer des Dachver-bandes sächsischer Migrant*innenorganisationen, forderte anzuerkennen, dass der Rechtsextremismus „ein Kind der Mitte der Gesellschaft“ sei. Ihn zu bekämpfen, sei ein Job, den Weiße übernehmen sollten.
Der zweite Tag begann mit einem Beitrag von Dr. Regula Zwahlen Guth, Expertin für orthodoxe Theologie zur Frage, inwiefern die Leitung der russisch-orthodoxe Kirche mit einer „imperialen Theologie“ den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine legitimiert. Sie machte darauf aufmerksam, dass die russisch-orthodoxe Kriegstheologie von heute die deutsche Kriegstheologie aus dem letzten Jahrhundert wiederholt.
In einer weiteren Podiumsdiskussion standen Angriffe von rechts auf die Zivilgesellschaft im Mittelpunkt. Wie kann demokratisches Engagement trotz Gefährdung gelingen? Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, betonte, dass in ganz Sachsen eine langjährig gewachsene und verfestigte rechtsextreme Szene existiert, die mit her-kömmlicher politischer Bildungsarbeit nicht mehr zu errei-chen sei. Dies bedeute in sich schon eine Gefährdung der Zivilgesellschaft. Rudaba Badakhshi vom Dachverband der Migrantinnenorganisationen beschrieb eine doppelte Ein-schränkung, von der etwa Menschen mit nicht ausreichend sicherem Aufenthaltstatus betroffen sind: Ihre Meinungs-freiheit wird bedroht einerseits durch die extreme Rechte und anderseits auch durch die Sorge, dass sich demokratische Teilhabe negativ auf ihr Aufenthaltsrecht auswirken könnte. Dorothea Schneider von „Augen auf e.V.“ beschrieb eindring-lich massive Bedrohungen und Angriffe, denen demokratisch engagierte Menschen besonders im ländlichen Raum ausge-setzt sind.
Im Anschluss konnten in Arbeitsgruppen Diskussionen vertieft und Perspektiven der Teilnehmenden aufgegriffen werden. Die Workshops widmeten sich Themen wie den rechtsextremen Strukturen in Sachsen, der Reichsbürger*innen-Szene, rechts-lastigen Teilen des evangelikalen Milieus sowie Antisemitis-mus.
Die 70 Teilnehmenden beschlossen eine Erklärung zum Terror der Hamas gegen Israel. Die Teilnehmenden zeigten sich erschüttert über die alle Begriffe sprengende Gewalt. Es handele sich um die schlimmsten Angriffe auf jüdisches Leben seit 1945. Die BAG K+R steht uneingeschränkt solidarisch an der Seite Israels. Der Terror sei durch nichts zu rechtfertigen und dürfe nicht relativiert werden. Die Erklärung forderte Politiker*innen und Sicherheitsbehörden dazu auf, sich stärker gegen Antisemitismus zu positionieren und jüdisches Leben auf lange Sicht zu schützen.
Das diesjährige Forum fand statt in Kooperation mit der Diakonie Sachsen, dem Kulturbüro Sachsen, der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, dem Netzwerk Tolerantes Sachsen, der Evangelischen Akademie zu Berlin und dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend.
(Quelle: bagkr.de)