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Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat: Verfassungsfeinde

Bild: pixabay.com
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Erleichtert stellen wir fest, dass die Zivilgesellschaft lebt und gegen die Pläne von hochrangigen AfD-Politiker:innen, Neo-nazis und finanzstarken Unternehmern zur Vertreibung von Millionen von Menschen auf die Straße geht: Kein Tag vergeht, an dem nicht Tausende in Deutschland ihr Entsetzen über diese Vertreibungspläne zum Ausdruck bringen, die das Recherchenetzwerk Correctiv aufgedeckt hat: „Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hi-naus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet.

 

Der Protest wird von der Politik aufgegriffen: Sämtliche demo-kratische Parteien im Bundestag – von der Linken bis zur CDU/CSU – haben das rechtsextreme Geheimtreffen in Pots-dam verurteilt. Die CDU hat Mitgliedern der Werte-Union, die an dem Treffen teilnahmen, Parteiausschlussverfahren ange-kündigt. Für den kommenden Samstag, 14 Uhr, haben sich Ministerpräsident Stephan Weil und Alt-Bundespräsident Christian Wulff, der evangelische Landesbischof Ralf Meister und die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi angekündigt, um „ein starkes Zeichen gegen Rechts“ zu setzen. Auch die konserva-tive Presse bezieht Stellung: Detailliert nimmt der rechte „Focus“ die Verharmlosungs- und Rechtfertigungsversuche der Nazis um Kubitschek, und Sellner auseinander (auf deren Traktate jüngst auch Alice Weidel rekurrierte) und empört sich über „die irre Rechtspropaganda“.

 

Es hat fast den Anschein, als könnten wir uns bei der Vertei-digung von Freiheits- und Menschenrechten auf die demokra-tischen Parteien im Bundestag verlassen – hätten wir nicht in den vergangenen Wochen und Monaten eine politische Debat-te um geflüchtete Menschen erleben müssen, in der immer mehr Vertreter:innen demokratischer Parteien sich in ihrer Diktion auf die AFD zu bewegten und deren Inhalte übernah-men: Wurde die AFD 2016 noch für ihre Forderung nach einem Einsatz von Schusswaffen an der Grenze einhellig als ver-fassungsfeindliche Partei gebrandmarkt, wurden 2023 Forde-rungen nach einer „gewaltsamen Zurückweisung an der Grenze“ (Jens Spahn) plötzlich salonfähig. Statt von Schutzsu-chenden war in der öffentlichen Debatte nur noch von „irre-gulärer Migration“ die Rede. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz führte die Debatte über Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl der in Deutschland Schutz suchenden Menschen in einem Duktus, der als Anbiederung an den rechten Zeitgeist verstan-den werden muss: Mit seinem populistischen Vorstoß via Spie-gel („Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“) heizte Bundeskanzler Olaf Scholz in der Tradition eines Gerhard Schröder, der 1997 ähnlich agierte („Kriminelle Ausländer raus, und zwar schnell“) das rassistische Klima in Deutschland selbst ordentlich an und trug so aktiv mit zu einer Diskursver-schiebung nach rechts bei. Eine ganze Reihe der diskutierten und teilweise schon beschlossenen Maßnahmen und Ge-setzesänderungen bewegt sich nicht mehr im demokratischen Rechtsrahmen, sondern schränkt die Grund- und Menschen-rechte massiv und in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise ein:

 

  • Das gestern in zweiter und dritter Lesung verabschiedete, euphemistisch „Rückführungsverbesserungsgesetz“ titulierte, Gesetz zur Verschärfung der Abschiebungs-praxis enthält eine Reihe von aus menschenrechtlicher Sicht inakzeptablen Zumutungen: So wird die Verlänge-rung des sog. „Ausreisegewahrsams“ von 10 auf 28 Tage von Fachleuten für verfassungswidrig gehalten. Hierbei geht es um nichts weniger als einen dramatischen Grund-rechtseingriff – den Freiheitsentzug für Menschen, die nichts verbrochen haben. Selbst Bundesjustizminister Buschmann hat „verfassungsrechtliche Bedenken“ erhoben. Gleichwohl hält die Bundesregierung an ihrem Vorhaben fest.
  • Auch beim alle Jahre wieder populistisch ausgeschlach-teten Thema Sozialleistungen ist die Bundesregierung im Begriff, Verfassungsrecht bewusst zu missachten: Sie will den Zeitraum von Leistungskürzungen für Asylsuchende und Geduldete von 18 auf 36 Monate verlängern. Mit seiner Entscheidung vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) hat das Bundes­verfassungsgericht dem Gesetz-geber ins Stammbuch geschrieben, dass Leistungskür-zun­gen nur für einen kurzen Zeitraum und nur dann zulässig sind, wenn nachvollziehbar be­rechnet und nachgewiesen werden kann, dass tatsächlich in der ersten Zeit ein geringerer Bedarf besteht. Eine solche Begründung fehlt nach wie vor, obwohl das Bundesver-fassungsgericht am 19.10.2022 seine Rechtsprechung nochmals bekräftigt und damit eine weitere verfassungs-widrige Kürzung des Gesetzgebers aufgehoben hat. Diesen höchstrichterlichen Beschluss hat die Bundes-regierung bis heute – fast anderthalb Jahre später – skandalöserweise noch immer nicht gesetzlich umge-setzt. Ungerührt hält die Bundesregierung dennoch an ihrem neuen Kürzungsvorhaben fest. Auch das insoweit eindeutige Gutachten des Gesetzes- und Beratungs-dienstes des Bundestags, das die Verfassungswidrigkeit dieses Vorhabens benennt und detailliert begründet, führt nicht zu einer Änderung des vorliegenden Gesetzes-entwurfs: Sehenden Auges begeht die Ampel hier Verfas-sungsbruch, wie Thomas Hohlfeld (Linke) in seinem Ver-merk zu dem Gutachten belegt.
  • Mit der Zustimmung zur GEAS-Verordnung hat die Bundesregierung 2023 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik den Tabubruch begangen, eine Abschie-bung von Menschen, die in Europa Schutz suchen, auch dann für zulässig zu erklären, wenn der als „sicher“ defi-nierte Drittstaat weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Menschenrechtskonvention unter-zeichnet hat. Damit wird die jetzt schon zu beklagende Praxis von massenhaften Pushbacks durch viele euro-päische Staaten gedeckt und ermöglicht. Ab 2026 werden wir „Grenzasylverfahren“ in geschlossenen Lagern erle-ben, in denen die Betroffenen nur eingeschränkte Rechte haben und von Beratungsangeboten weitgehend ausgeschlossen sind.

 

Der CDU geht das alles nicht weit genug: Es sind nicht mehr nur einzelne Scharfmacher wie Thorsten Frei oder Jens Spahn, die Schutzsuchende an den Grenzen zurückweisen und das Asylrecht abschaffen wollen: Am Montag hat der Vorstand der CDU den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm verab-schiedet. Im Bereich Flüchtlingspolitik wird nicht weniger als die komplette Abschaffung des Asylrechts in Deutschland gefordert, quasi eine 1:1 Kopie des Ruanda-Modells der Tories in Großbritannien. Im Programmentwurf heißt es:

 

Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren. Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlau-fen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Dritt-staat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren. Dazu wird mit dem sicheren Drittstaat eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen.

 

Der öffentliche Aufschrei ist bislang ausgeblieben. Dabei ist auch dieser Programmentwurf ein offenkundiger Angriff auf ein elementares Grund- und Menschenrecht. Noch ist dieser Programmentwurf nicht beschlossen: Das Programm wird von der CDU im Februar und März auf sechs Regionalkonferenzen in Mainz, Hannover, Chemnitz, Köln, Stuttgart und Berlin vorgestellt und diskutiert werden. Bislang ist die Tragweite dieses Entwurfs auch noch nirgends richtig angekommen. Ein Anlass für öffentlichen Protest und Demonstrationen sind solche verfassungsfeindlichen Pläne der CDU allemal.

Bei solchem Umgang mit der deutschen Verfassung dürfte es schwierig werden, die AFD verbieten zu lassen. Verfassungsfeinde finden sich offenkundig nicht nur in der AFD. Selbstverständlich ist es auch weiterhin gut und wertvoll, wenn die demokratischen Parteien gemeinsam zu einer klaren Grenzziehung gegenüber den völkischen Rassist:innen der AFD finden und Position beziehen. Glaubwürdig ist dieses Bekenntnis allerdings nur dann, wenn der Umgang mit den Grund- und Menschenrechten auch in der eigenen Partei reflektiert wird.

 

(Quelle: nds-fluerat.org)


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