Zum 27. Februar 2024 ist die Bezugsdauer der niedrigen Grundleistungen nach § 3 / 3a AsylbLG von der Bundes-regierung und der Gesetzgeberin entgegen allen verfas-sungsrechtlichen Vorgaben und wider besseren Wissens auf 36 Monate verlängert worden. Seit diesem Datum müssen Menschen doppelt so lange mit einem existenz-und gesundheitsgefährdenden Leistungsniveau auskom-men.
Besonders gravierend fällt die nicht-existenzsichernde Ausgestaltung der AsylbLG-Grundleistungen bei der Gesundheitsversorgung aus: Die Betroffenen sind norma-lerweise nicht Mitglied einer Krankenkasse, sondern das Sozialamt entscheidet in jedem Einzelfall über die Kosten-übernahme (außer, es gibt in dem jeweiligen Bundesland eine Gesundheitskarte nach § 264 Abs. 1 SGB V).
Die Grundleistungen des AsylbLG sehen in § 4 nur eine menschen-und unionsrechtswidrige Notfall-Medizin vor. Zwar müssen darüber hinaus über § 6 AsylbLG viele zusätzliche Leistungen zur Krankenbehandlung übernom-men werden; der Umfang müsste im Ergebnis weitgehend demjenigender gesetzlichen Krankenkassen entsprechen. So haben es z. B. das LSG Hessen, Beschluss vom 11.07.2018 -L 4 AY 9/18 B ER und das LSG Niedersach-sen, Beschluss vom 20. Juni 2023, L 8 AY 16/23 B ER angeordnet. Alles andere würde nämlich dem Grund-gesetz, der UN-Kinderrechtskonvention, der EU-Aufnah-merichtlinie, dem UN-Sozialpakt usw. widersprechen.
Aber: Diese Ansprüche müssen oft mühsam erkämpft und durchgesetzt werden. Diesen Kampf schaffen nur die wenigsten. So hat das Bundessozialgericht erst letzte Wo-che in zwei Verfahren entschieden, dass auch AsylbLG-Grundleistungsberechtigte einen Anspruch auf Kosten-übernahme für einen Krankenhausaufenthalt bei einer chronischen psychischen Erkrankung haben. In beiden Fällen waren die Betroffenen schwer depressiv und suizid-gefährdet und wurden daher stationär im Krankenhaus aufgenommen. Dennoch hatte das Sozialamt ernsthaft die Kostenübernahme verweigert, da es sich ja nicht um eine akute Erkrankung handele und diese auch nicht schmerz-haft sei. Das Bundessozialgericht hat nun (zum Glück!) die Kostenübernahme angeordnet (Bundessozialgericht, Urteile vom 29. Februar 2024, B 8 AY 3/23 R und B 8 AY 2/23 R).
Dennoch zeigt das: Es ist nun, nachdem Menschen dop-pelt so lange die Grundleistungen ohne adäquate Gesund-heitsversorgung beziehen müssen, umso wichtiger, eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse hinzube-kommen. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten. Dies gilt zum Beispiel und keineswegs abschließend für folgende Fälle:
- die Familienversicherung (§ 10 SGB V): Auch Leis-tungsberechtigte nach AsylbLG sind familienversi-chert, wenn ihr*e Ehepartner*in Mitglied der Gesetz-lichen Krankenkasse ist. Dasselbe gilt für Kinder (unter bestimmten Bedingungen bis zum 25. Geburts-tag), wenn ein Elternteil Mitglied der Krankenkasse ist, sowie unter Umständen auch für Enkel, Stiefkin-der und Pflegekinder. Die Tatsache, dass man nur eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung besitzt, steht dem nicht entgegen –auch wenn die Kranken-kassen das gelegentlich anders behaupten (Bundes-sozialgericht, Urteil vom 30.04.1997; 12 RK 30/96)
- die Pflichtversicherung für Studierende (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V),normalerweise bis zum 30. Geburtstag. Auch Studierende, die eine Aufenthaltsgestattung oder Duldung besitzen, werden darüber versiche-rungspflichtig.
- die Pflichtversicherung für Praktikant*innen(§ 5 Abs. 1 Nr. 10 SGB V), wenn das Praktikum Bestandteil einer (schulischen) Berufsausbildung ist; bis zum 30. Geburtstag.Die Pflichtversicherungwährend des Schulbesuchs im Rahmen des Zweiten Bildungswegs (z. B. Abendrealschule, Abendhauptschule), wenn diese Ausbildung dem Grunde nach BAföG-förder-fähig ist.
- die Pflichtversicherung für Beschäftigte die über der Minijobgrenze verdienen (aktuell 538 Euro monatlich) oder betrieblich Auszubildende, auch unter der Mini-jobgrenze (§ 5 Abs. 1 Nr. 1SGB V). Auch Ausbildun-gen in außerbetrieblichen Einrichtungen sowie die Einstiegsqualifizierung (EQ) führen zu einer Kranken-versicherungspflicht(§ 5 Abs. 4a SGB V). Dies ist si-cher der wichtigste Zugang zur Krankenversicherung.
Wenn die Pflichtversicherung oder die Familienversiche-rung endet (z. B. weil die Arbeit verloren geht oder man eine Altersgrenze überschreitet), schließt sich eine Frei-willige Weiterversicherung an – entweder
- die „normale“ freiwillige Weiterversicherung (§ 9 SGB V), wenn die entsprechenden Vorversicherungszeiten erfüllt sind (zwölf Monate unmittelbar vor dem Aus-scheiden aus der Versicherungspflicht). Diese muss innerhalb von drei Monaten angezeigt werden.
Oder
- die „obligatorische Anschlussversicherung“(§188 Abs. 4 SGB V). Diese Freiwillige Versicherung entsteht unabhängig von Vorversicherungszeiten automatisch. Aus ihr kommt man nur heraus, wenn man nachweist, dass man eine andere Absicherung im Krankheitsfall hat. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass die Gesundheitsversorgung im Rahmen der Grund-leistungen nach AsylbLG keine solche anderweitige Absicherung im Krankheitsfall ist, weil der Umfang so eingeschränkt ist (BSG, Urteil vom 10. März 2022; B 1 KR 30/20 R). Die Krankenkassen haben also keine Möglichkeit, die Anschlussversicherung zu verwei-gern. Etwas anderes gilt allerdings, wenn Personen nach Ausscheiden aus der Pflicht - oder Familien-versicherung (nahtlos bzw. spätestens innerhalb eines Monats des nachwirkenden Versicherungs-schutzes nach § 19 Abs.2 SGB V) Leistungen nach § 2 AsylbLG oder nach dem SGB XII erhalten: In die-sem Fall besteht eine gleichwertige anderweitige Ab-sicherung im Krankheitsfall, so dass die Obligato-rische Anschlussversicherung nicht greift.
- Die Krankenkassenbeiträge müssen in diesen Fällen vom Sozialamt über § 6 AsylbLG übernommen wer-den, da sie „zur Sicherung der Gesundheit unerläss-lich“ sind. Dazu hat zum Beispiel das Land Rheinland-Pfalz einen Erlass veröffentlicht. Dies liegt übrigens auch im Interesse des Sozialamts, da das Kostenri-siko für teure Behandlungen dann bei der Kranken-kasse und nicht beim Sozialamt liegt.
Personen, die Grundleistungen nach 3 / 3a AsylbLG be-ziehen und ausnahmsweise Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind, müssen Zuzahlungen zu Rezepten, Hilfsmitteln und stationären Aufenthalten zahlen wie alle gesetzlich Krankenversicherten, bis die jeweilige Belas-tungsgrenze erreicht ist. Die Festsetzung der Belastungs-grenze und die anschließende Befreiung müssen bei der Krankenkasse beantragt werden. Allerdings sind diese Kosten für Zuzahlungen unterhalb der Belastungsgrenze nicht in die Regelsätze der Grundleistungen eingerechnet worden. Daher muss das Sozialamt diese Zuzahlungen gem. § 6 AsylbLG übernehmen bzw. erstatten. Dies muss beim Sozialamt individuell beantragt werden. Die Ge-setzesbegründung zu den Regelsätzen des AsylbLG sagt dazu folgendes:
„Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG haben aufgrund ihres Status keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenver-sicherung. Stattdessen regeln die §§ 4 und 6, in welchem Umfang Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und den zur Behandlung erforderlichen Medikamenten, therapeutischen Mitteln und sonstigen erforderlichen Erzeugnissen und Gegenständen haben. Daher können die in Abteilung 6 enthaltenen Aus-gaben, die lediglich von in der gesetzlichen Krankenver-sicherung versicherten Personen zu zahlen sind (Rezept-gebühren, Eigenanteile) bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG nicht anfallen. Diese regelbedarfsrelevanten Verbrauchspositionen der Abteilung 6 (für Regelbedarfs-stufe 1 laufende Nummern 37, 39, 41, 42 Bundestags-drucksache 17/3404) stellen damit keine notwendigen Bedarfe im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes dar. Für die Leistungsberechtigten nach § 3, die gleichwohl gesetzlich krankenversichert sind, erfolgt eine ergänzende Bedarfsdeckung über den § 6.“(Bundestagsdrucksache 18/2592, S. 24).
(Quelle: ggua.de)