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Bar oder mit Karte? Zur bevorstehenden Einführung der Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsrecht

Bild: pixabay.com
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Seit nunmehr dreißig Jahren zielt der Gesetzgeber mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) darauf ab, (vermeint-lichen) Pull-Faktoren entgegenzuwirken und existenzsichern-de Sozialleistungen für Asylsuchende einzuschränken. Das neueste Kapitel in dieser Entwicklung: die Einführung der sogenannten Bezahlkarte. Letzte Woche hat die Bundesregie-rung ihre Meinungsverschiedenheiten beigelegt und sich da-rauf verständigt, das AsylbLG anzupassen, um einen rechtssi-cheren Einsatz der Bezahlkarte zu ermöglichen. Bereits Ende Januar hatten 14 der 16 Bundesländer ein gemeinsames Ver-gabeverfahren für die Bezahlkarte angestoßen. Einige der diskutierten Bezahlkartenmodelle werden den verfassungs-rechtlichen Vorgaben allerdings nicht gerecht: Es droht eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines men-schenwürdigen Existenzminimums.

 

In verschiedenen Landkreisen und kreisfreien Städten sind be-reits entsprechende Pilotprojekte im Gange, die sich in ihrer Ausgestaltung mitunter erheblich unterscheiden. So setzt der thüringische Landkreis Greiz die Bezahlkarte allein zur De-ckung des notwendigen Bedarfs ein und hat im Zuge dessen die Möglichkeit für eine Abhebung des Kartenguthabens sowie für Zahlungen außerhalb des Landkreises ausgeschlossen. Die Stadt Hamburg erbringt den notwendigen Bedarf in Aufnah-meeinrichtungen weiterhin durch Sachleistungen und setzt die Bezahlkarte lediglich beim notwendigen persönlichen Bedarf ein, wobei Leistungsberechtigten ein abhebbarer Bar-betrag von monatlich 50 Euro verbleibt. Die Stadt Hannover erbringt wiederum die komplette Leistung über eine Bezahl-karte, ohne die Möglichkeit von Bargeldabhebungen einzu-schränken.

 

Grundsätzlich soll die Bezahlkarte überall dort einsetzbar sein, wo entsprechende Debitkarten von VISA bzw. Mastercard ak-zeptiert werden. Allerdings bestehen vielfältige technische Möglichkeiten für weitere Einschränkungen: Ein Anbieter von Bezahlkartensystemen wirbt damit, dass die Kommunen flexi-bel darüber entscheiden können, eine Nutzung der Karte in bestimmten Bereichen auszuschließen oder Bargeldabhebun-gen über die Karte einzuschränken bzw. gänzlich auszu-schließen. Wie so oft gilt: Was technisch möglich ist, muss noch lange nicht rechtlich zulässig sein. Dies nimmt der vorlie-gende Beitrag zum Anlass, den rechtlichen Möglichkeiten für den Einsatz von Bezahlkarten im Existenzsicherungsrecht nachzugehen und auf die aus dem Grundrecht auf Gewährleis-tung eines menschenwürdigen Existenzminimums erwachsen-den, verfassungsrechtlichen Grenzen hinzuweisen.

 

Das Grundgesetz gibt weder einen Anspruch auf Leistungen in einer exakt bezifferten Höhe noch auf eine bestimmte Form der Leistungserbringung vor. Stattdessen eröffnet es dem Ge-setzgeber bei der Ausgestaltung des Existenzsicherungsrechts einen Gestaltungsspielraum. Er kann deshalb entscheiden, das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleis-tungen zu sichern (Rn. 67).

 

Doch ist der anzuerkennende Gestaltungsspielraum nicht als Freibrief für den Gesetzgeber zu verstehen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini-mums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, den existenznotwendigen Bedarf realitätsgerecht zu erfassen und die Leistung folgerichtig, in einem transparenten und sachge-rechten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs zu be-messen (Rn. 69 ff.). Migrationspolitische Erwägungen, die Höhe der Leistungen bewusst niedrig zu halten, um vermeint-lichen Zuwanderungsanreizen entgegenzuwirken, können eine Unterdeckung des existenznotwendigen Bedarfs nicht rechtfertigen (Rn. 95).

 

Ob die geplante Bezahlkarte diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird, hängt maßgeblich von ihrer kon-kreten Ausgestaltung ab. Diesbezüglich zeichnen sich vier Probleme ab.

 

Das grundrechtlich geschützte Existenzminimum umfasst nicht nur die bloße physische Existenz des Menschen, sondern auch die für die Teilhabe am politischen, kulturellen und sozialen Leben unerlässlichen Bedarfe. Dabei sind die die physische und die soziokulturelle Seite des Existenzminimums einheitlich zu gewährleisten (Rn. 135; Rn. 64, 94). Diese sozio-kulturelle Seite des Existenzminimums beziffert das AsylbLG – unter Herausnahme bestimmter Positionen gegenüber dem regulären Sozialhilfeniveau – derzeit auf 204 Euro. Soweit der mit der Bezahlkarte eingeräumte Barbetrag diese Summe unterschreitet, bedarf es tragfähiger Belege dafür, dass Leis-tungsberechtigte tatsächlich dazu imstande sind, ihre sozio-kulturellen Bedarfe zu befriedigen: Ein Handyvertrag zur Kom-munikation mit Familienangehörigen im Ausland, die Kosten eines Rechtsbeistands, der Mitgliedsbeitrag eines Sportvereins – die soziokulturellen Bedarfslagen sind vielfältig und nicht ohne Weiteres mit einer Bezahlkarte zu decken. Vielmehr ist ein gewisser Barbetrag unabdingbar, um Teilhabe am politi-schen, kulturellen und sozialen Leben zu ermöglichen. Dem wird das in Hamburg praktizierte Modell mit einem Barbetrag von 50 Euro nicht gerecht.

 

Weiterhin schränkt die Bezahlkarte Möglichkeiten zum sparsa-men Wirtschaften ein, wenn der Großteil des Budgets nur in größeren Geschäften einsetzbar ist, welche Debitkarten als Zahlungsmittel akzeptieren. Die Anschaffung von kosten-günstigen Gebrauchtartikeln auf Flohmärkten, in Kleiderläden karitativer Organisationen oder aus Privatverkäufen können Betroffene praktisch nur aus dem knapp bemessenen Barbe-trag finanzieren.

 

Dies erweist sich deshalb als besonders heikel, weil die Be-zahlkarte zugleich den Spielraum zum internen Ausgleich ver-schiedener Bedarfspositionen einschränkt. Das Bundesverfas-sungsgericht hat wiederholt betont, dass eine pauschal be-messene Regelleistung zur Sicherung des Existenzminimums es ermöglichen muss, individuelle Mehrbedarfe in einer Be-darfskategorie durch Einsparungen bei anderen Bedarfsposi-tionen auszugleichen (Rn. 172 und Rn. 117 ff.). Wer etwa einen erhöhten Bedarf an Telekommunikation hat oder häufiger neue Kleidung benötigt als der statistische Durchschnitt, kann dies bei einer Geldleistung problemlos ausgleichen, indem sie oder er an anderer Stelle weniger Geld ausgibt. Ein solcher Spielraum zum internen Ausgleich war ausschlaggebend da-für, dass der Senat im Jahr 2014 die Regelleistung im SGB II als derzeit noch verfassungsgemäß erachtet hat.

 

Im Asylbewerberleistungsrecht ist die Regelleistung zur Siche-rung des existenznotwendigen Bedarfs nochmals enger be-messen. Eine alleinstehende Person erhält nach dem AsylbLG monatlich knapp hundert Euro weniger als nach dem SGB II. Zur Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ist derzeit auch ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhän-gig (hier). Gerade weil die Bedarfssätze im Asylbewerberleis-tungsrecht so knapp bemessen sind, bleibt ein hinreichender Spielraum zum Ausgleich verschiedener Bedarfspositionen unabdingbar, damit Betroffene ihr Existenzminimum auch tatsächlich sichern können. Nicht zuletzt fallen im Bereich des Existenzminimums auch verhältnismäßig kleine Geldbeträge überaus stark ins Gewicht – etwa wenn mit jeder Abhebung des auf der Karte befindlichen Barbetrags Bankgebühren von zwei Euro oder ggf. höher einbehalten werden. Eine solche Praxis, die Verwaltungskosten der Karte vom Existenzmini-mum der Leistungsberechtigten faktisch in Abzug zu bringen, ist nicht haltbar.

 

Die Bezahlkarte schränkt zugleich die Autonomie der Leis-tungsberechtigten ein, da sie nicht in gleicher Weise wie bei einer Geldleistung über die zur Existenzsicherung benötigten Mittel verfügen können. Besonders deutlich wird dies bei dem gegenwärtig diskutierten Vorschlag, den Einsatz der Bezahl-karte zum Kauf von Tabakwaren oder Alkohol mittels tech-nischer Vorkehrungen auszuschließen. Die normative Wer-tung, Genussmittel nicht zum Existenzminimum zu zählen, ist an und für sich vertretbar. Derartige Ausgabepositionen wer-den bereits jetzt bei der Berechnung der Regelsätze ausge-klammert mit der Konsequenz, dass Leistungsberechtigte den Konsum von Genussmitteln nur durch Einsparungen in ande-ren Bedarfskategorien finanzieren können. Problematisch ist aber, dass die Betroffenen nicht frei über ihr Ausgabeverhalten bestimmen und nicht in gleicher Weise am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können wie Personen, die nicht im Leis-tungsbezug stehen. Das paternalistische Ansinnen, Leistungs-empfängern bestimmte Ausgabepositionen zu verbieten und sie dadurch zu „besseren“, gesünder lebenden Menschen zu erziehen, ist dem Sozialleistungsrecht fremd. Hingegen ist die Stigmatisierung von Hilfebedürftigen im Existenzsicherungs-recht zu vermeiden. Hierzu hatte das Bundesverwaltungs-gericht einst die Maßgabe aufgestellt, dass die Sozialhilfe es Hilfebedürftigen ermöglichen müsse, „in der Umgebung von Nicht-Hilfeempfängern ähnlich wie diese“ zu leben (BVerwGE 36, 256).

 

Mit der Bezahlkarte einhergehende Diskriminierungseffekte lassen sich zudem als gleichheitsrechtliches Problem be-greifen (so auch die rechtspolitische Kritik). Der Einsatz der Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsrecht stellt eine Un-gleichbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten anderer Grundsicherungssysteme dar, die selbstbestimmt über Geld-leistungen verfügen können. Offen ist, ob eine solche Un-gleichbehandlung innerhalb des Existenzsicherungsrechts am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat es zumeist abge-lehnt, im Bereich des Existenzminimums auf weitere Grund-rechte zurückzugreifen, und den allgemeinen Gleichheitssatz bislang nur vereinzelt neben dem Grundrecht auf Gewährleis-tung eines menschenwürdigen Existenzminimums geprüft (Rn. 68 ff.). Eine mit Stigmatisierungsrisiken behaftete Bezahl-kartenpraxis böte Anlass, auch hier über eine ergänzende An-wendung des allgemeinen Gleichheitssatzes nachzudenken.

Räumliche Beschränkungen sind dem Existenzsicherungsrecht fremd

 

Weiterhin begegnet es verfassungsrechtlichen Bedenken, den Einsatzbereich der Bezahlkarte auf einen bestimmten Land-kreis zu beschränken, wie es derzeit bei einem Modellversuch im thüringischen Landkreis Greiz der Fall ist. Zwar mag es aus Sicht der Kommunalpolitik verlockend erscheinen, Kaufkraft innerhalb des jeweiligen Landkreises zu behalten und zugleich etwaigen aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen zur Geltung zu verhelfen. Dem Recht der Existenzsicherung sind diese Ansinnen jedoch fremd.

 

Das Asylverfahrensrecht sieht eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf Landkreisebene nur in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bzw. solange vor, wie die betreffende Person der Verpflichtung unterliegt, in der Aufnahmeein-richtung zu wohnen (§§ 56 Abs. 1, 59a Abs. 1 S. 2 AsylG). Für andere vom Asylbewerberleistungsgesetz erfasste Personen-gruppen besteht keine vergleichbare räumliche Beschränkung auf Landkreisebene. So ist der Aufenthalt von Geduldeten grundsätzlich nur für die Dauer von drei Monaten auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt (§ 61 Abs. 1, 1b AufenthG). In diesen Fällen lässt sich bei der Gewährung exis-tenzsichernder Sozialleistungen keine engmaschigere Be-schränkung des Aufenthalts etablieren als durch die einschlä-gigen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen vorgegeben wird. Dies wäre nicht nur paradox, sondern gemessen an der Ziel-setzung des Existenzsicherungsrechts auch schlichtweg sys-temfremd.

 

Abschließend plädiert dieser Beitrag einmal mehr dafür, den gegenwärtigen Diskurs um das Asylbewerberleistungsrecht faktenbasiert und im Lichte der einschlägigen verfassungs-rechtlichen Vorgaben zu führen. Für die Annahme, dass Ge-flüchtete Geldleistungen in großem Stil in ihre Herkunfts-länder weiterleiten würden, existieren keine belastbaren Be-lege. Die mit der Bezahlkarte einhergehende Einschränkung der Dispositionsfreiheit und der Verlust von Autonomie sind für die Leistungsberechtigten hingegen real.

 

Beim Einsatz der Bezahlkarte ist sicherzustellen, dass der ge-samte existenznotwendige Bedarf durchgängig gedeckt ist. Dies setzt zum einen voraus, dass hinreichende Möglichkeiten zum Einsatz der Bezahlkarte – auch zur Erfüllung der sozio-kulturellen Bedarfe – gegeben sind. Zum anderen muss der auf der Karte eingeräumte Barbetrag so bemessen sein, dass den Betroffenen ein interner Ausgleich zwischen verschie-denen Bedarfspositionen auch tatsächlich möglich ist. Weitergehende Restriktionen wie die Sperrung der Bezahl-karte für bestimmte Ausgabepositionen oder die räumliche Beschränkung ihrer Nutzung auf das Gebiet eines Landkreises sind verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

 

(Quelle: verfassungsblog.de)


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