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Migazin-Artikel: Das erwartet Schutzsuchende zukünftig in Europa

Bild: pixabay.com
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Am 10. April 2024 hat das Europäische Parlament der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zuge-stimmt. Durch verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedin-gungen – auch für Kinder – sowie gesenkte Standards für sogenannte „sichere Drittstaaten“ und zusätzliche Verschär-fungen im Fall von „Krisen“ stellt die Reform eine massive Ver-schlechterung des bisherigen EU-Asylrechts dar. Am Vortag hatten 161 Organisationen noch an das Parlament appelliert, diese Verschärfung nicht mitzutragen.

 

Die beschlossenen Gesetzestexte werden nach letzter Zustim-mung der Mitgliedstaaten im Rat, die sicher ist, voraussichtlich im Mai 2024 in Kraft treten. Sie sehen jedoch einen Umset-zungszeitraum von zwei Jahren vor und finden damit erst ab der zweiten Jahreshälfte 2026 Anwendung. Die Bundesre-gierung muss bis Ende dieses Jahres einen Umsetzungsplan vorlegen. Hierzu werden auch verschiedenste Gesetzes-änderungen gehören müssen.

 

Was passiert konkret dann künftig mit nach Europa fliehenden Menschen, wenn die Verordnungen ab 2026 angewendet wer-den? Ganz genau lässt sich das nicht vorhersagen, denn schon in den letzten Jahren sind EU-Staaten vor allem dadurch auf-gefallen, das geltende Recht falsch oder gar nicht anzuwen-den. Auch unterlaufen einige Regierungen schon jetzt das EU-Recht, indem sie es mit neuen Deals umgehen wollen – wie die italienische Ministerpräsidentin Meloni mit ihrem Albanien-Deal.

 

Um zu verdeutlichen, um wen und um was es geht, hat die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl basierend auf den be-schlossenen Verordnungen und einer realistischen Umset-zungsprognose folgende Einzelfälle fingiert, die in der Aus-gangslage auf typischen Fluchtgeschichten beruhen.

 

Beispiel 1: Schnellverfahren an den Außengrenzen – auch für politisch Verfolgte aus der Türkei

 

Bahar* engagiert sich für die Rechte von Kurd:innen in der Tür-kei und wird zunehmend von der Polizei unter Druck gesetzt. Als sie davon hört, dass es einen Haftbefehl wegen Unterstüt-zung einer „terroristischen Organisation“ – ein häufig gegen die politische Opposition eingesetzter Vorwurf der politischen Verfolgung in der Türkei – gegen sie gibt, beschließt sie spon-tan, das Land zu verlassen.

 

Sie schafft es mit ihrem fünfjährigen Sohn trotz der weiterhin verbreiteten illegalen Pushbacks über die Landgrenze nach Bulgarien. Sie will Asyl beantragen, kommt aber zunächst in das neue Screening-Verfahren. Dieses ist nun für alle Personen vorgesehen, die an den Grenzen aufgegriffen werden ohne die Einreisevoraussetzungen zu erfüllen oder nach Seenotrettung an Land gebracht werden. Während des Screenings gelten Ba-har und ihr Sohn als „nicht eingereist“. Sie darf deswegen das Screening-Zentrum an der Außengrenze nicht verlassen und sich nicht frei bewegen. In dem Zentrum wird sie von bulgari-schen Grenzschutzbeamt:innen zu ihren persönlichen Daten befragt. Auch gibt es einen medizinischen Check. Nach sieben Tagen ist das Screening vorbei.

 

Da Bahar während des Screenings als Türkin registriert wurde, wird sie mit ihrem Asylantrag automatisch nach dem Scree-ning in das neue Asylgrenzverfahren der Asylverfahrensver-ordnung weitergeleitet. Das neue Asylgrenzverfahren ist ver-pflichtend, wenn jemandem vorgeworfen wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu sein oder den Behörden zum Bei-spiel falsche Identitätsdokumente vorgelegt zu haben – oder wenn die Anerkennungsquote des Herkunftslandes weniger als 20 Prozent europaweit umfasst. Seit dem Januar 2024 liegt die europaweite Schutzquote für das Herkunftsland Türkei bei nur noch 18 Prozent und damit knapp unter der Schwelle.

 

Bahar und ihre Sohn dürfen deswegen auch weiterhin nicht einreisen und sind für die gesamten drei Monate des Asyl-grenzverfahrens in dem Lager an der Außengrenze festgesetzt – denn eine Ausnahme für Kinder mit ihren Familien von der haftähnlichen Unterbringung gibt es nicht. Ihr Asylverfahren soll lediglich priorisiert werden. Selbst die angeordnete In-haftnahme von Kindern während des Grenzverfahrens ist nicht ausgeschlossen.

 

Statt ein reguläres Asylverfahren zu bekommen, müssen sie also ein beschleunigtes Verfahren an den Außengrenzen durchlaufen – abgeschottet von der Außenwelt. In Bulgarien wird diese Art von Schnellverfahren schon seit 2023 in einem Pilotprojekt erprobt. Anwält:innen in Bulgarien befürchten, dass sie durch die Reform künftig die Schutzsuchenden gar nicht mehr erreichen und unterstützen können.

 

Sollten die beiden im Asylverfahren abgelehnt werden – was bei einem absehbar voreingenommenen und unfairen Verfah-ren ohne ausreichende Unterstützung trotz drohender Verfol-gung keine Überraschung wäre – können sie weitere drei Mo-nate an der Außengrenze als „nicht-eingereist“ isoliert wer-den.

 

Für dieses neue Abschiebungsgrenzverfahren musste ganz zum Schluss der Verhandlungen noch eine eigene Verordnung geschaffen werden, um es rechtssicher zu gestalten. Sollte eine Abschiebung in der Zeit nicht erfolgen, kann immer noch die Abschiebungshaft angeschlossen werden. Die Grenzver-fahren erhöhen damit die Gefahr, dass der Schutzbedarf ge-flüchteter Menschen nicht erkannt wird und sie trotz drohen-der Verfolgung abgeschoben werden.

 

Beispiel 2: Märchen der „sicheren Drittstaaten“

 

Fadi* flieht aus Syrien, denn er ist wegen der Unterstützung von Anti-Assad-Demos in den Fokus des Geheimdienstes ge-raten. Über die Türkei flieht er nach Griechenland und schafft es, mit dem Boot auf einer griechischen Insel anzukommen. Während des Screenings wird Fadi auch nach seinem Flucht-weg gefragt, im Screening-Formblatt wird eingetragen, dass er sich nach seiner Flucht aus Syrien kurz in der Türkei aufgehal-ten hat. Deswegen wird Fadi in das Lager nebenan verlegt, für ein Asylverfahren einreisen darf er nicht. Denn in Griechen-land gilt die Türkei weiterhin als „sicherer Drittstaat“, laut der Asylverfahrensverordnung können Mitgliedstaaten die Grenz-verfahren auch zum Beispiel auf Personen anwenden, die über „sichere Drittstaaten“ geflohen sind.

 

Die Türkei gilt seit 2016 für Syrer:innen in Griechenland als „sicherer Drittstaat“ und seit 2021 unter anderem auch für Afghan:innen, obwohl die Türkei die bisherigen Kriterien für „sichere Drittstaaten“ hierfür nicht erfüllt (siehe auch hier für eine aktuelle Studie). Mit der GEAS-Reform werden die Anfor-derungen an die Sicherheit in dem Drittstaat stark herunter-geschraubt, was zumindest in Teilen sehr auf die Türkei zuge-schnitten scheint. So muss Fadi in der Türkei keinen Flücht-lingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bekom-men können, sondern es reicht, dass er dort einen soge-nannten „effektiven Schutz“ erhalten kann – der jedoch nicht alle Rechte nach der GFK umfasst.

 

Die Türkei hat die GFK nur mit einem geografischen Vorbehalt ratifiziert, weshalb Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan ihn nicht bekommen können. Deswegen war bisher umstritten, ob die Türkei überhaupt für sie europarechtlich als „sicher“ gel-ten kann. Das soll nun umgangen werden. Zudem schiebt die Türkei sogar regelmäßig in beide Länder ab, was völkerrechts-widriges refoulement ist. Das müsste – wenn die Regeln ernst genommen werden würden – auch künftig dazu führen, dass die Türkei nicht als sicher gelten kann. Mit der GEAS-Reform muss zudem nicht mehr das ganze Land sicher sein, Teilge-biete können ausreichen.

 

Durch die Reform liegt es jetzt vor allem bei Fadi zu beweisen, dass die Türkei für ihn nicht sicher ist. Er war allerdings nur kurz in dem Land, weil er viel Schlechtes über den Umgang mit syrischen Flüchtlingen dort gehört hat. Auch nach der Re-form muss es eine Verbindung zu dem Drittstaat geben auf-grund derer es sinnvoll für Fadi erscheint, in das Land zu ge-hen. Laut den Erwägungsgründen der Verordnung ist dies zum Beispiel anzunehmen, wenn sich Familienangehörige von Fadi in diesem Land aufhalten oder wenn sich Fadi in diesem Land niedergelassen oder aufgehalten hat. Sollte all dies von den griechischen Behörden als gegeben angenommen werden, dann wir der Asylantrag von Fadi als „unzulässig“ abgelehnt. Was ihm in Syrien passiert ist, ist den Beamt:innen dann egal – für sie zählt nur, dass sie ihn in einen außereuropäischen Staat abschieben wollen.

 

Aber nicht nur an den europäischen Außengrenzen, sondern auch in Deutschland wird sich durch die Reform sehr vieles ändern. Die Asylverfahrensverordnung wird – sobald sie ab 2026 in Anwendung kommt – wohl die meisten Regelungen im aktuellen Asylgesetz verdrängen und ist direkt anwendbar. Wie genau die Umsetzung in Deutschland aussehen wird, das muss die Bundesregierung bis Ende 2024 in einem Umset-zungsplan festhalten. Viele Änderungen sind entsprechend der Gesetzestexte, die nun final verabschiedet werden, aber schon absehbar: Auch in Deutschland werden die neuen Screenings angewendet werden. Zum einen an den deutschen EU-Außengrenzen, was primär die Flughäfen sind. Zum ande-ren gibt es eine spezielle Norm für das Screening im Inland.

 

Wenn also eine Person in Deutschland von der Polizei kontrol-liert wird und kein Visum hat und auch nie an den Außengren-zen registriert (gescreent) wurde, dann ist Deutschland ver-pflichtet, ein Inlands-Screening durchzuführen. Während des Screenings muss die Person den Behörden „zur Verfügung stehen“, Deutschland muss Regeln erlassen um sicherzustel-len, dass die Person nicht untertaucht. Das könnte zu Haft oder haftähnlicher Unterbringung führen.

 

Die Person gilt aber – im Gegensatz zum Screening an den Außengrenzen – als eingereist. Das ist wichtig, denn wenn sie einen Asylantrag stellt, kann sie im Anschluss nicht einem Asylgrenzverfahren zugeleitet werden – denn hierfür müsste sie noch als „nicht-eingereist“ gelten. Die Screening-Verord-nung stellt auch extra klar, dass die Binnengrenzen auch bei der Anwendung von Grenzkontrollen Binnengrenzen bleiben und dort aufgegriffene Personen nach dem Screening im Inland behandelt werden müssen.

 

Es gibt jedoch eine Sonderregelung, dass das Inlands-Scree-ning nicht angewendet werden muss, wenn die Person basie-rend auf einer bilateralen Vereinbarung direkt an der Binnen-grenze zurückgewiesen wird – das Screening findet dann in dem anderen Mitgliedstaat statt. Asylsuchende müssten hier-von jedoch ausgeschlossen sein, da auch nach dem neuen Schengener Grenzkodex ihre direkte Zurückweisung europa-rechtswidrig bleibt (siehe hier zur aktuellen Praxis der Zurück-weisungen an deutschen Binnengrenzen).

 

Die neuen Asylgrenzverfahren sowie die Abschiebungsgrenz-verfahren werden also primär an den deutschen Flughäfen angewendet werden und werden das bisherige Flughafenver-fahren ersetzen. Während das bisherige deutsche Grenzverfah-ren nach 19 Tagen vorbei ist, können ab 2026 die Verfahren zum Beispiel am Frankfurter Flughafen bis zu drei Monate dau-ern. Insgesamt können dann Personen ein halbes Jahr im Transitbereich festgehalten werden, wenn sie nach Ablehnung noch in das Abschiebungsgrenzverfahren genommen werden. Fraglich ist aber, ob die bisherige Art der Unterbringung an den deutschen Flughäfen für eine solch lange Zeit geeignet ist. Auch wird man genau schauen müssen, ob die Standards, die das Bundesverfassungsgericht für das Flughafenverfahren auf-gestellt hat, im neuen Grenzverfahren beachtet werden (siehe hier für eine Studie zum Vergleich des Flughafenverfahrens und der GEAS-Reform).

 

Doch es gibt eine weitere Konstellation, wann Asylsuchende in Deutschland ins Grenzverfahren kommen können. Hierfür nehmen wir nochmal das Beispiel von Bahar und ihrem Sohn, der kurdisch-türkischen Asylsuchenden, die in Bulgarien ins Grenzverfahren gekommen ist: Schon bevor die beiden ins Grenzverfahren gekommen sind, hatte die bulgarische Regie-rung bei der EU-Kommission eine Notifikation eingereicht, um als Mitgliedstaat anerkannt zu werden, in dem ein soge-nannter „Migrationsdruck“ herrscht. Seitdem dies anerkannt wurde, stehen Bulgarien Solidaritätsmaßnahmen von anderen Mitgliedstaaten zu. Hierzu gehört auch die Aufnahme von Asyl-suchenden, wobei die meisten Mitgliedstaaten versuchen, stattdessen Geld zu zahlen. Deutschland hatte im Zuge des neuen jährlichen High Level Solidaritätsforums verbindlich zugesagt, 3.000 Asylsuchende aus Bulgarien aufzunehmen. Insgesamt liegt der fair share Deutschlands – also der faire Anteil an den Solidaritätsmaßnahmen – anhand der Quote von Bevölkerungszahl und Bruttoinlandsprodukt bei circa 22 Prozent der benötigten Umverteilungsplätze sowie der finan-ziellen Leistungen. Dies Solidaritätsmaßnahmen sollen pro Jahr mindestens 30.000 Umverteilungsplätze und 600 Mil-lionen Euro Finanzhilfen umfassen, die an Mitgliedstaaten gehen, die unter Migrationsdruck stehen.

 

Bahar und ihr Sohn werden für Deutschland für die Umvertei-lung ausgesucht, sie selbst haben kein Mitspracherecht. In Deutschland kann das Asylverfahren von Bahar und ihrem Sohn dann weiterhin als Grenzverfahren geführt werden, wo-für Deutschland einen weiteren Monat Zeit zur Bearbeitung bekommt. Auch über den Umverteilungsmechanismus kön-nen also Asylsuchende künftig in Deutschland ins Grenzver-fahren kommen.

 

Besonders relevant sind in Deutschland in den letzten Jahren stets die sogenannten Dublin-Verfahren gewesen, in denen festgestellt wird, ob ein anderer EU-Mitgliedstaat für den Asyl-antrag zuständig ist und die asylsuchende Person in den Mit-gliedstaat überstellt wird. Auch wenn es ab 2026 keine Dublin-III-Verordnung mehr geben wird sondern eine Verordnung über das Asyl- und Migrationsmanagement, so bleiben die Grundprinzipien des Dublin-Systems bestehen. Der Mitglied-staat, in dem die asylsuchende Person als erstes eingereist ist, wird in den meisten Fällen für den Asylantrag zuständig sein. Ein kleiner Zusatz bei den Kriterien ist nur, dass im neuen Sys-tem auch in einem Mitgliedstaat erworbene schulische Qualifi-kationen in den letzten sechs Jahren als Zuständigkeitskrite-rium gelten.

 

Auch wenn sich unter anderem die deutsche Bundesinnenmi-nisterin Nancy Faeser von der GEAS-Reform zu versprechen scheint, dass künftig möglichst viele Asylsuchenden an den Außengrenzen „hängen bleiben“ und es gar nicht erst nach Deutschland schaffen, so scheint das nach den Erfahrungen der letzten Jahre eine wenig realistische Prognose. Schon jetzt müssten Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Italien men-schenwürdige Bedingungen für Asylsuchende garantieren und bei festgestellter Zuständigkeit die Person zurücknehmen – in der Praxis passiert das jedoch kaum. Der Erfahrung der letzten Jahre nach wird es weiterhin gute Gründe für viele geflüchtete Menschen geben, weiter nach Deutschland zu flüchten. So auch im fiktiven Fall von Fadi:

 

Nachdem der Asylantrag von Fadi als „unzulässig“ abgelehnt wurde, musste er noch weitere drei Monate im Abschiebungs-grenzverfahren ausharren – obwohl die Türkei gar keine Rück-führungen akzeptiert (so auch der aktuelle Stand der EU-Türkei Erklärung). Jetzt steht er in Griechenland vor dem Nichts, denn als offiziell abgelehnter Asylsuchender steht ihm keine Unterstützung zu. Fadi hat schon einen Onkel in Deutschland, deswegen entscheidet er sich, es nochmal in Deutschland mit dem Asylverfahren zu versuchen. Doch hier angekommen gerät er in die Mühlen des neuen Dublin-Sys-tems: Die Fristen zur Kommunikation zwischen Deutschland und Griechenland sind deutlich beschleunigt. So muss Deutschland der griechischen Behörden innerhalb von nur zwei Wochen notifizieren, dass eine Wiederaufnahme von Fadi stattfinden soll. Wenn Griechenland innerhalb von zwei Wo-chen keine Gründe vorlegt, warum es doch nicht zuständig ist, wird die Zustimmung zur Rückübernahme angenommen.

 

Ab dann läuft die sogenannte Überstellungsfrist, die bei sechs Monaten bleibt. Sollte Fadi als flüchtig gelten oder angeblich bestimmten medizinischen Vorgaben nicht folgen, die für sei-ne Überstellung notwendig sind, dann wird die Frist direkt auf drei Jahre verlängert – eine Verdopplung gegenüber der aktu-ellen Regelung bei „Flüchtigsein“. Zudem wurden für Fadi und andere betroffene Asylsuchende die Rechtsschutzmöglich-keiten im Vergleich zur Dublin-III-Verordnung verschlechtert, insbesondere soll offensichtlich ausgeschlossen werden, dass Fadi nach Fristablauf auf ein Asylverfahren in Deutschland klagen kann.

 

Während die Frist läuft, kann Fadi in Deutschland für die nicht gewünschte Weiterwanderung bestraft werden, indem seine Sozialleistungen gekürzt werden. Dies ist so ähnlich schon im Asylbewerberleistungsgesetz in Deutschland vorgesehen, wobei schon diese Leistungseinschränkung verfassungsrecht-lich höchst fragwürdig ist.

 

Für Fadi würde noch eine neue Regelung gelten: Für Personen, die im Asylgrenzverfahren abgelehnt wurden, hört die Zustän-digkeit des Mitgliedstaates 15 Monate nach ergangener Ableh-nung auf zu gelten. Fadi kann also 15 Monate nach der Ableh-nung im griechischen Grenzverfahren doch einen neuen Asylantrag in Deutschland stellen, der dann hier als neuer Asylantrag bearbeitet werden muss.

 

Durch die Reform wird es zudem zum ersten Mal eine Krisen-Verordnung geben, die den Mitgliedstaaten verschiedene Aus-nahmen von den dann eigentlich gültigen Regeln erlaubt – und absehbar unerträglichen Zuständen an den Außengren-zen weiter Vorschub leisten wird. Ob es eine Krise in einem Mitgliedstaat gibt, der solche Ausnahmen erlaubt, wird von der Kommission auf Antrag des Mitliedstaates festgestellt und in Entscheidungen der Kommission sowie einem Umset-zungsrechtsakt des Rates festgehalten. Darin muss stehen, warum die Anwendung der Krisen-Verordnung notwendig und verhältnismäßig ist, ab und bis wann die Ausnahmen gelten sollen – aber nicht zwingend, welche Ausnahmen angewendet werden. Generell sollen die Ausnahmen zunächst nur für drei Monate angewendet werden, was aber verlängert werden kann. Insgesamt soll ein solcher „Krisen-Zustand“ nicht länger als zwölf Monate gelten.

 

Sollte zum Beispiel Bulgarien in dem Zeitraum, in dem Bahar mit ihrem Sohn ihren Asylantrag stellt, im „Krisenmodus“ sein, so kann sich einiges für sie ändern. Erstens hätte Bulgarien dann vier Wochen Zeit, um ihr Asylgesuch zu registrieren. Was harmlos klingt kann in der Praxis zu einer stärkeren Pushback-Praxis führen, wenn die schutzsuchenden Menschen länger nicht staatlich erfasst werden. Zweitens kann Bulgarien das Grenzverfahren variieren: Wenn es sich um eine Krise wegen sehr hoher Ankunftszahlen oder „höherer Gewalt“ handelt, dann kann Bulgarien den Schwellenwert für die Quote, bei der das Grenzverfahren verpflichtend ist, entweder auf 5 Prozent senken – dann wären Bahar und ihr Sohn nicht im Grenzver-fahren – oder auf 50 Prozent erhöhen, also deutlich mehr Men-schen ins Grenzverfahren nehmen. Wenn es keine ausreichen-den Kapazitäten gibt, dann müsste Bulgarien auch das Krite-rium der Quote generell nicht mehr anwenden. Wenn es je-doch um den Krisenfall einer Instrumentalisierung geht, dann kann Bulgarien das Grenzverfahren auf alle Asylsuchenden ausweiten, die von einer anderen Regierung oder nicht-staat-lichen Akteuren „instrumentalisiert“ werden. Nur für diesen Fall ist eine Ausnahme von Familien mit Kindern unter zwölf Jahren vorgesehen.

 

Man merkt: Von einem wirklich gemeinsamen Europäischen Asylsystem bleibt trotz einer ursprünglich gewünschten stär-keren Angleichung der Verfahren in den Mitgliedstaaten wenig übrig, denn durch die Krisen-Verordnung können ständig un-terschiedliche Sonderregelungen gelten. Das betrifft auch die Überstellungsfristen und Solidaritätsmaßnahmen.

 

*Die Fälle in diesem Text sind fiktiv, aber nah an aktuellen Praxisfällen entwickelt.

 

(Quelle: migazin.de)

 


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