Pro Asyl und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben gemeinsam mit einer hamburgischen Familie eine sozial-gerichtliche Eilentscheidung zur diskriminierenden Bezahl-karte erstritten. Der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (S 7 AY 410/24 ER; 18. Juli 2024) lässt schon mal erahnen, auf welchen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und welche Rechtsunsicherheit sich die Sozialbehörden werden einstellen müssen. Das Sozialgericht stellt nämlich klar, dass das AsylbLG die Ausgabe einer Bezahlkarte zwar nicht per se ver-biete. Aber: Die konkrete Ausgestaltung – also: wieviel Bargeld kann abgehoben werden, können Überweisungen durchge-führt werden, gibt es regionale Beschränkungen usw.) ist eine Ermessensentscheidung, die immer die Umstände des jewei-ligen Einzelfalls berücksichtigen müsse. Eine pauschale Be-grenzung des abhebbaren Betrags auf 50 Euro (bzw. 10 Euro für Kinder!), weil man sich da politisch halt drauf geeinigt hat, ist nach Überzeugung des Gerichts rechtswidrig. Vielmehr muss für jede solcher Einschränkungen individuell Ermessen ausgeübt, abgewogen und begründet werden. Dies wird einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und Rechtsunsicherheiten mit sich bringen, die ziemlich einfach vermeidbar wären – wenn man weiterhin das Geld auf das Konto überweisen und auf die Bezahlkarte verzichten würde.
Für die Praxis heißt das: Bei Bezahlkarten sollte individuell beantragt werden, höhere Bargeldanteile zu erhalten. Dies sollte mit individuellen Umständen begründet werden – z. B. mit einer Behinderung, Krankheit, Alleinerziehung, Alter, Erwerbstätigkeit, langer Aufenthaltszeit, besonderen Bedarfen von Kindern usw. Auch wenn man bestimmte Kosten mit der Karte tatsächlich nicht decken kann – z. B. Einkäufe in kleinen Geschäften, am Kiosk, Privatkäufe gebrauchter Waren, Taschengeld für die Klassenfahrt usw. – sollte die zusätzliche Bereitstellung für Bargeld hierfür beantragt und möglichst konkret begründet werden. Das AsylbLG selbst sieht für diese Fälle einen Rechtsanspruch auf höhere Barleistungen vor (§ 2 Abs. 2 S. 3; § 3 Abs. 3 S. 6 AsylbLG). Das Sozialamt hat dann die Pflicht, sich mit jedem Antrag individuell auseinanderzusetzen und einen begründeten Bescheid zu erlassen, der die jeweili-gen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Bei Ablehnungen sollten dagegen Klage und ggfs. Eilantrag beim Sozialgericht eingelegt werden.
Derartige Anträge und Gerichtsverfahren können nicht nur da-für sorgen, die Diskriminierungen der Betroffenen individuell ein wenig abzumildern. Vor allem kann damit auch dokumen-tiert werden, dass das Märchen von „Verwaltungsvereinfa-chung“ und „Bürokratieabbau“ von Anfang an nichts anderes war als eine Lüge. Das Gegenteil ist richtig: Die Bezahlkarten werden zu mehr statt zu weniger Verwaltungsaufwand und -kosten führen. Diese werden aber von interessierter Seite gern in Kauf genommen, wenn es darum geht, das eigentliche Ziel der Bezahlkarte mit der Brechstange durchzusetzen – nämlich die rassistische Ungleichbehandlung einer ganzen Bevölke-rungsgruppe. Neben den von der Bezahlkarte Betroffenen müssen auch die Mitarbeiter*innen in den Sozialbehörden nun ausbaden, was die Ministerpräsident*innen einst am grünen Tisch erdacht haben.
Es wäre höchste Zeit, dass sich die Verwaltungsfachleute und politisch Verantwortlichen in den Kommunen endlich gegen diesen Unfug zu Wort melden.
(Quelle: ggua.de)