Vergangene Woche wurde die neue AA-Strategie zur humanitären Hilfe vorgestellt. Abgesehen von dem radikal um 53% gekürzten Budget im Ampel-Haushalt, das auch in der Presse kritisiert wurde, offenbart sich in dem Papier: Es gelte nicht mehr per se die größte Not zu lindern, sondern dort Not-leidende zu unterstützen, wo es zugleich den außen- und si-cherheitspolitischen Zielen Deutschlands am meisten dient. Staatssekretärin Baumann bei der Pressekonferenz: „Das Budget schrumpft, während die humanitären Bedarfe steigen […] Wir müssen also Prioritäten setzen […] Das bedeutet, dass wir uns auf Krisen konzentrieren müssen, die Auswirkungen auf Europa haben.“
Fachleute sehen mit großer Sorge, dass Krisenregionen, aus denen z.B. Flüchtlinge nach Europa fliehen könnten, den Vor-zug bei humanitärer Hilfe bekommen – während sich das AA aus der Hilfe für Lateinamerika zurückzieht, weil die Not dort weit genug entfernt ist, um Deutschland nicht zu betreffen. Nachfolgend finden Sie zur Thematik einen Auszug aus einer lesenswerten Einordnung von Ralf Südhoff, Gründungs-direktor des Centre for Humanitarian Action (CHA).
Weder Player noch Payer?
Was die neue Strategie und ein radikal gekürztes Budget für die Zukunft der deutschen humanitären Hilfe bedeuten
(Auszug aus: www.chaberlin.org/blog/weder-player-noch-payer/)
[…] Dennoch stehen viele richtige Ziele in der Strategie, die nahezu alle humanitären Akteur*innen unterschreiben kön-nen. Über die neue Einleitung der Strategie lässt sich das da-gegen nicht sagen. Nicht zufällig wurde kaum ein Teil der von den humanitären Referaten schon abgeschlossenen Strategie im Freigabeprozess noch so intensiv umgeschrieben. Auch die stark veränderten Akzente zur alten Strategie sind hier am deutlichsten.
So heißt es noch in der alten Leitlinie im allerersten Absatz, die deutsche humanitäre Hilfe diene „ausschließlich der Er-reichung humanitärer Zielsetzungen“ und sei „Ausdruck un-serer ethischen Verantwortung und Solidarität mit Menschen in Not“. Die humanitären Prinzipien und eine rein an der größten Not der Menschen orientierten Vergabe der Mittel ver-teidigten die humanitären Referate im AA in jenen Jahren so konsequent oder für manchen Kritiker so „ideologisch“, dass sie schon als „Taliban im Amt“ verschrien waren.
Auch die Einleitung der neuen Strategie sah hier in ihrem Ent-wurf ein rein humanitäres Mandat vor und war auf einer Seite so knapp und unpolitisch formuliert, dass sich selbst manch Humanitäre aus der Zivilgesellschaft wunderten. Offenbar im Lichte der jüngsten Kontroversen um Sinn und Finanzierung der deutschen humanitären Hilfe kam es hier auf den letzten Metern des Strategiemarathons noch zu einem grundlegend neuen Ton.
Gleich die allererste Überschrift der neuen Strategie lautet: „Humanitäre Hilfe ist Teil der Integrierten Sicherheit“.
Überdies ziehen sich nun multiple neue Referenzen zu Sicher-heitspolitik und „Nationaler Sicherheitsstrategie“ durch das Dokument, und schon im ersten Absatz des Dokuments heißt es jetzt:
„Wo Menschen das Lebensnotwendigste fehlt, wo Nahrung fehlt, entsteht sozialer Sprengstoff; Terrorgruppen, bewaffnete Milizen erhalten Zulauf, der Zusammenbruch der Ordnung kann ganze Regionen in den betroffenen Ländern destabili-sieren. Alle humanitären Krisen haben das Potential, sich in unserer vernetzten Welt global auszuwirken. Häufig sind deut-sche Sicherheitsinteressen davon direkt berührt.“
Nur zweckdienliche Sicherheitssemantik mit Blick auf interes-sens- statt wertegeleitete Koalitionspartner?
Während das Dokument insbesondere hinter den stark editier-ten ersten Seiten vielfach auch humanitäre Werte und Prinzi-pien betont, nähren weitere Veränderungen die Skepsis, dass es hier um mehr geht als ein paar kosmetische Zugeständnisse an Skeptiker der humanitären Hilfe: So fällt auf, dass der ur-sprünglich ausdrückliche Verzicht auf regionale Prioritäten – der einer Orientierung an der größten Not sehr zuwiderlaufen kann – gestrichen wurde, und sich ja auch bereits mit einem Rückzug deutscher humanitärer Hilfe aus Lateinamerika an-deutet.
Hier setzt sich offenbar eine Fraktion im AA zunehmend durch, welche schon lange dafür plädiert, nicht per se die größte Not zu lindern, sondern dort Notleidende zu unterstützen, wo es zugleich außenpolitischen Zielen am meisten dient. Bestätigt wurde dieser Ansatz bei der Veröffentlichung der Strategie in aller Offenheit durch Staatssekretärin Baumann: „Das Budget schrumpft, während die humanitären Bedarfe steigen (…) Wir müssen also Prioritäten setzen (…) Das bedeutet, dass wir uns auf Krisen konzentrieren müssen, die Auswirkungen auf Europa haben.“
In dieser Logik wird aus der aktuellen, auch internationalen Priorisierungsdebatte eine heikle Politisierungsdebatte.
Der Schritt zum neuen FDP Narrativ, humanitäre Hilfe zu kür-zen und schlicht nur noch in befreundeten Staaten in der Al-lianz gegen Russland zu leisten, ist dann nicht mehr weit. Erst recht, wenn die Mittel zugleich wie geplant radikal sinken.
Auch deshalb lautet die eigentliche Gretchenfrage: Was bleibt von einer Strategie, deren Ressourcen kurz vor ihrem Ab-schluss halbiert wurden?
Der vom Kabinett beschlossene Haushaltsplan sieht eine Kür-zung der deutschen humanitären Hilfe um 53 % auf nur noch gut 1 Mrd. € vor. Damit steuert das humanitäre Budget auf ein 10-Jahres-Tief zu und der hoch gelobte Geber Berlin würde sich nicht nur hinter Topgebern, sondern Stand heute auch Ländern wie Norwegen, Japan oder Saudi-Arabien einreihen. Rund die Hälfte der nur noch verbliebenen Milliarde für 2025 ist zudem bereits durch mehrjährige Zusagen verplant. Die verbleibenden Mittel dürften vor allem außenpolitisch rele-vanten Großkrisen wie Ukraine und Gaza und aus migrations-politischen Gründen syrischen Flüchtlingen in Nahost zukom-men. So stellt sich schon jetzt die Frage, wieviel Mittel dann überhaupt noch für alle weiteren Krisen in Asien und Afrika bleiben – und was eine Strategie wert ist, die hierzu nur nor-mativ feststellt: „Für uns gibt es keine vergessenen Krisen.“
„Wenn das Budget so bleibt, ist die Strategie weitgehend irre-levant“, ist daher eine Einschätzung nicht ketzerischer Kritiker, sondern von manch Humanitärem aus dem AA selbst. Dessen Leitung hat derweil in der neuen Strategie bereits den An-spruch konsequent gestrichen, ein „führender Geber“ humani-tärer Hilfe zu sein, der sich im Entwurf noch an zahlreichen Stellen fand.
Warum aber fallen strategischer Anspruch und budgetäre Wirklichkeit des AA plötzlich so radikal auseinander?
Zurecht kritisieren humanitäre Akteure Kanzleramt und Fi-nanzministerium dafür, erneut BMZ und vor allem dem AA weit überproportionale Kürzungen für den Haushalt 2025 ab-verlangt zu haben, dem AA allein weitere gut 17 % seines Ge-samtbudgets. Doch zur Wahrheit gehört auch: Damit allein lässt sich eine historisch einmalige, unverhältnismäßige Kür-zung allein des AA-Titels für humanitäre Hilfe um 53 % nicht erklären.
Sicher: Flexible Projektmittel wie für die humanitäre Hilfe müssen stets bei Budgetkürzungen mehr leiden als Fixkosten wie Personal. Aber fast dreimal mehr als überhaupt gekürzt werden muss? Das gab es noch nie. Und ist nicht allein mit ei-nem bösen Finanzminister, der Inflation oder steigenden Kos-ten für Cybersicherheit erklärbar. Beispielsweise hatte das AA schon im Jahr 2021 ein nur etwas höheres Gesamtbudget als jetzt vorgesehen – und dennoch war es dem Ministerium mög-lich, mehr als doppelt so viel humanitäre Hilfe bereitzustellen (2,14 Mrd.€) als in 2025 geplant.
Ähnlich liest sich die nahende budgetäre Gesamtbilanz der Ampel: Diese hat 2021 ein humanitäres Budget von 2,57 Mrd € übernommen und im Koalitionsvertrag versprochen es weiter zu erhöhen. Nun plant dieselbe Regierung, die humanitäre Hilfe binnen ihrer Amtszeit um fast zwei Drittel zu kürzen. Und kaum eine neue Bundesregierung wird viel Geld in die Hand nehmen, um ausgerechnet diesen historischen Fehler der Ampel zu korrigieren. Dies wirft die Frage auf:
Wie wichtig ist dem Auswärtigen Amt also die eigene Strategie und die humanitäre Hilfe?
Die neue Strategie war mit hohen Erwartungen verknüpft, in-ternational wie national. Es ging darum, ob Deutschland den nächsten Schritt geht und die Lücke zwischen einem führen-den Payer und einem underperfoming Player, der doch drin-gend benötigt würde nun schließt.
Das ist weiterhin möglich, doch dafür bräuchte es zweierlei: Das AA müsste quasi nachträglich in der Umsetzung der Stra-tegie eine klare thematische Priorisierung vornehmen. Und die Bundesregierung müsste nachträglich eine klare finanziel-le Priorisierung des humanitären Budgets beschließen. Zur Not erneut am letzten Tag dieses einmaligen Budgetprozesses 2025, in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November.
Andernfalls könnte das grün geführte Außenministerium ein-mal dafürstehen, besagte Lücke zwischen dem großen huma-nitären Payer und dem kleinen Player Deutschland auf sehr eigenwillige Art überwunden zu haben: Kein Player und kein Payer mehr.
(Quelle: chaberlin.org)