Wie schon über die Listen gegangen ist, sind in diesen Tagen mehrere Regelungen zur Verschärfung des AsylbLG veröf-fentlicht worden. Damit fährt die Ampelkoalition einen Angriff auf die Sozialen Rechte Geflüchteter, der in seinem Ausmaß alle bisherigen Verschärfungen in den Schatten stellt. Selbst die Große Koalition mit Horst Seehofer hat kein so umfassen-des Entrechtungsprogramm gewagt. Es ist dies Ausdruck einer dramatischen Verrohung und Radikalisierung der bürgerlichen Mitte, die Schritt für Schritt nun das umsetzt, was die Rechts-extremist*innen schon immer forderten.
1. Vertreibung durch Aushungern von Dublin-Geflüchteten
Die Änderung des § 1 Abs. 4 AsylbLG als Teil des völlig zu Unrecht so genannten „Sicherheitspakets“ ist gestern im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und damit heute in Kraft getreten. Was die staatlich produzierte Verelendung ei-ner Menschengruppe auch nur im Entferntesten mit „Sicher-heit“ zu tun haben soll, ist unerklärlich. Die Regelung in Kürze:
Menschen sollen nur noch für zwei Wochen Anspruch auf ge-kürzte AsylbLG-Leistungen (im Umgang von § 1a AsylbLG) und danach normalerweise gar keinen Anspruch mehr haben, wenn
- sie vollziehbar ausreisepflichtig sind, die Ausländer-behörde ihnen (in der Regel rechtswidrig) aber keine Dul-dung erteilt (leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG).
- Der Leistungsausschluss gilt daher nicht für Personen mit Aufenthaltsgestattung (leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 1a; die bisherige Kürzung nach § 1a Abs. 7 für diese Personen ist gestrichen worden).
- Und auch nicht für Personen mit Duldung (leistungs-berechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4). Und
- eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 AsylG (Dublin-Bescheid) erlassen wurde und
- eine Abschiebungsanordnung gem. § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG (nicht: Abschiebungsandrohung!) erlassen wurde und
- wenn „nach der Feststellung des Bundesamtes für Migra-tion und Flüchtlinge die Ausreise rechtlich und tatsäch-lich möglich ist“ (was immer diese Feststellung genau bedeuten soll).
Nur in besonderen Härtefällen müssen nach zwei Wochen wei-terhin Leistungen für das rein physische Existenzminimum er-bracht werden. Normalerweise dürfen nach den zwei Wochen jedoch noch nicht einmal Unterkunft, Ernährung oder Gesund-heitsversorgung sichergestellt werden. Und selbst in Härtefäl-len sind das gesamte soziale Existenzminimum und die Zu-satzleistungen insbesondere für schutzbedürftige Personen nach § 6 AsylbLG (Hilfe zur Pflege, Leistungen der Einglie-derungshilfe usw.) ausgeschlossen! Ausnahmen bestehen für die „besonderen Bedürfnisse von Kindern“.
Hier gibt es eine Powerpoint-Präsentation mit dem neuen Gesetzeswortlaut und einer ersten Einschätzung sowie mit Praxishinweisen: als ppt und als pdf.
In der Beratung sollte in allen Fällen eines Leistungsaus-schlusses Rechtsmittel eingelegt werden (Widerspruch, Klage und Eilantrag beim Sozialgericht). Dabei sollte auch stets auf die Härtefallregelung und die individuelle Situation eingegan-gen werden. Die Regelung verletzt erkennbar die Verfassung, aber auch andere Rechtsvorschriften, wie die EU-Aufnahme-richtlinie, die EU-Grundrechtecharta, die UN-Kinderrechtskon-vention und die UN-Behindertenrechtskonvention, weil
- Dublin-Geflüchtete die Ausreise nicht selbst in der Hand haben,
- das soziale und physische Existenzminimum grund-sätzlich zu jeder Zeit sichergestellt sein muss,
- zumindest Unterkunft, Ernährung und Hygiene auch auf-grund der EU-Grundrechtecharta niemals gestrichen wer-den dürfen,
- insbesondere für Kinder und andere schutzbedürftige Personen das gesamte Existenzminimum inklusive einer uneingeschränkten Gesundheitsversorgung und unab-hängig von einer Härte gesichert sein muss,
- die Wohnpflicht des § 47 AsylG unabhängig von einem Leistungsanspruch gilt,
- Obdachlosigkeit auch aufgrund des Ordnungsrechts verhindert werden muss.
Hier gibt es dazu noch zwei ausführlichere Artikel:
Es drohen Hunger und Obdachlosigkeit: Menschen im Dublin-Verfahren sollen systematisch verelenden
Vertreibung durch soziale Exklusion
2. Kürzung des AsylbLG-Regelsatzes für alle ab 2025
Die Bundesregierung hat beschlossen, den Regelsatz für Men-schen im Grundleistungsbezug nach § 3 AsylbLG im Jahr 2025 zu kürzen. Im Gegensatz zu den Leistungen nach SGB II, SGB XII und den Analogleistungen nach § 2 AsylbLG sollen die Re-gelsätze nicht eingefroren bleiben, sondern um 13 bis 19 Euro sinken. Begründet wird dies vom sozialdemokratisch geführten BMAS formal damit, dass eine Bestandsschutzrege-lung für den Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG nicht vorgese-hen sei.
Hier sind die neuen Sätze im Bundesgesetzblatt. Die Kol-leg*innen vom hessischen Flüchtlingsrat haben dankenswer-terweise schon eine Übersicht über die alten und neuen Re-gelsätze gemacht:
In dieser Tabelle wird nicht nur die vierprozentige Kürzung existenzsichernder Sozialleistungen deutlich. Sondern auch, dass die Schere zwischen „normalen“ Sozialleistungen und denjenigen für Geflüchtete noch weiter auseinander geht. Dafür sorgt gleich eine ganze Latte von Maßnahmen, die im AsylbLG von der Ampelkoalition beschlossen wurden oder noch geplant sind:
- Verlängerung des niedrigeren Grundleistungsbezugs von 18 auf 36 Monate
- Verschärfung der Regelungen zu verpflichtenden Arbeitsgelegenheiten
- Einführung der diskriminierenden Bezahlkarte
- Geplante Leistungskürzungen für Personen, die sich in Aufnahmeeinrichtungen nicht „wohlverhalten“.
- Geplante Streichung des Kindersofortzuschlags im AsylbLG
- Verfassungswidrige zehnprozentige Kürzung für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften ist immer noch nicht aus dem Gesetz gestrichen.
Wir reden hier also über eine von der Bundesregierung vertre-tene Politik der Ungleichmachung. Und wir reden darüber, dass entgegen aller formaljuristischen Argumentationen die Begründung für Sozialabbau zunehmend mit rassistischen Narrativen aufgeladen wird. Es geht ja erst mal nur gegen „die Ausländer“. Aber: Es wird nicht lange dauern, bis diese Argu-mentation auch für weitere Verschärfungen und Kürzungen in anderen Bereichen wie dem Bürger*innengeld herhalten muss.
(Quelle: ggua.de)